Musikbezogene Genderforschung. Aktuelle und interdisziplinäre Perspektiven [Michaela Krucsay]

Musikbezogene Genderforschung. Aktuelle und interdisziplinäre Perspektiven / Hrsg. von Nicole K. Strohmann, Camilla Bork und Gesa Finke.  Hildesheim [u.a.]: Olms, 2012.  184 S.: 8 Abb. (Jahrbuch Musik und Gender ; 5)
ISBN 978-3-487-14870-0 : € 25,00 (brosch.)

Mit dem fünften Jahrbuch Musik und Gender weichen die Herausgeberinnen Strohmann, Bork und Finke bewusst von der bislang gepflegten Modalität ab, jeweils den Hauptteil eines Bandes mit Beiträgen zu einem bestimmten Schwerpunktthema zu gestalten. Dies geschieht zugunsten einer gesteigerten Interdisziplinarität, durch welche die musikwissenschaftliche Genderforschung als in sich heterogenes kulturwissenschaftliches Forschungsfeld mehr noch als in den vorangegangenen Bänden in den Fokus rückt. Dadurch ergibt sich eine auf den ersten Blick willkürlich anmutende Diversität der behandelten Themen, die – wie die Herausgeberinnen im Vorwort einräumen – primär durch die Klammer der „musik- und kulturwissenschaftlichen Genderforschung“ (S. 9) miteinander in Verbindung stehen. Die aus zum Teil höchst unterschiedlichen Blickwinkeln verfassten Beiträge stammen aus der Feder von Autorinnen verschiedener geistes- bzw. kulturwissenschaftlicher Disziplinen, sodass nicht nur Musikwissenschaft und Geschichte, sondern etwa auch Germanistik und Ethnologie Eingang in den vorliegenden Band „Musikbezogene Genderforschung“ gefunden haben und bereichern:
Mit einer auch Genderaspekte einschließenden, konzisen Untersuchung zu den philosophischen und kulturgeschichtlichen Grundlagen von Luigi Nonos und Massimo Cacciaris höchst einflussreichem musikdramatischem Werk Prometeo eröffnet die Grazer Musikwissenschaftlerin Susanne Kogler (Prometheus und die Musen – Mythos, Gender und Kreativität in Luigi Nonos und Massimo Cacciaris Prometeo, S. 13-29) den bunten Reigen der Beiträge und weckt dabei durchaus das Interesse auf mehr. Historisch-soziologisch argumentierend schließt die junge Musikwissenschaftlerin Christine Fornoff mit Geschlechterrollen und Paarkonstruktion im Briefwechsel von Johanna und Gottfried Kinkel (S. 31-48) eine umsichtige Betrachtung der Rollenverteilung eines sich seiner Prominenz und Vorbildwirkung durchaus bewussten Ehepaares der Romantik im Kontext des Ehemodells der Revolutionsbewegung 1848/49 an. Gänzlich anders konzipiert ist Marion Krügers im Rahmen ihres Dissertationsprojekts entstandener ethnologisch geprägter Beitrag, der sich mit Feldforschung zu Flamenco in Granada – Erfahrungen zwischen Musik, Körper und Gender (S. 49-65) befasst. Krüger thematisiert hier primär die spezifischen Schwierigkeiten und Vorbehalte, auf die eine ausländische, weibliche Wissenschaftlerin im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung im spanischen Flamenco-Milieu trifft und verweist auf den bislang in der Flamenco-Forschung weitgehend vernachlässigten Aspekt der Körperlichkeit. Vielleicht ist es dem recht auszughaften Wesen dieses Beitrags geschuldet, dass seine Aussagekraft tendenziell etwas hinter den anderen zurücksteht. Die Germanistin und Historikerin Aibe-Marlene Gerdes präsentiert unter dem Titel Der Soldat, der Engel und die Hure – Frauenbilder im Soldatenlied des Ersten Weltkrieges (S. 67-90) einen faszinierenden Einblick in die im Soldatenlied musikalisch überformten Rollenbilder und Sehnsüchte einer „doppelten Hegemonie soldatischer Männlichkeit“ (S. 89). Die Operngestalten Carmen, Mirza und Tigrana stehen im Zentrum von Stefanie Strigls Beitrag “Wenn Eva die Sünde verkörpert, ist sie bösartiger, als wenn Adam sie verkörpert” – Zum weiblichen Bösen in der Oper des 19. Jahrhunderts (S. 91-106). Die derzeit am Institut für Musikwissenschaft der Universität München als wissenschaftliche Assistentin tätige Autorin, die 2008 mit einer Arbeit zur musikalischen Chiffrierung des Bösen im Werk von Arrigo Boito promovierte, betrachtet die primär musikwissenschaftliche Problemstellung auch aus Sicht der Rhetorik.
Mit Gesa zur Niedens interdisziplinär höchst interessantem Beitrag Paris-Revu(e): „Doing gender“ im Pariser grand spectacle zwischen Zweitem Kaiserreich und Dritter Republik (S.107-124), der sich am Beispiel der feministisch ambitionierten „Madame Satan, Hauptfigur der Jahresrevue Paris-Revue des Théâtre du Châtelet von 1869“ (S. 108) ausrichtet, endet der Hauptteil des Jahrbuchs, nicht jedoch sein Informationsgehalt: In der Rubrik „Fundstück“ stellt Melanie Unseld Das Kapitel „Die Weiber“ aus Daniel Jenischs Theorie der Lebens-Beschreibung (S. 127-130) vor – in der Tat ein Fundstück insbesondere für WissenschaftlerInnen, die sich kritisch mit Biographieforschung auseinandersetzen. Kongressberichte und Rezensionen aus unterschiedlichen Bereichen des großen Themenfelds musikbezogener Frauen- und Genderforschung beschließen den aktuellen Band des Jahrbuchs Musik und Gender, der sich in seiner Gesamtheit als eine ebenso abwechslungsreiche wie informative Publikation präsentiert, die neue Denkanstöße bietet und gerade durch ihre in sich kohärente Vielfalt ein weiteres Mal die Augen dafür öffnet, welche nicht zu unterschätzende Bedeutung interdisziplinäres Arbeiten für jede zeitgemäße Forschung, gleich welcher Ausrichtung, besitzt.

Michaela Krucsay
Leoben, 16.05.2013

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