Peter Härtling: Schumanns Schatten

Haertling Schumann CoverHärtling, Peter: Schumanns Schatten. Variationen über mehrere Personen. – Mün­chen: dtv, 2006. – 383 S.
ISBN 13: 978-3-423-20887-1 u. 10: 3-423-20887-2 : € 8,90 (Pb.)

Lange galten die Krankenakten aus den letzten beiden Lebensjahren Robert Schu­manns, die der Komponist in der Endenicher Nervenheilanstalt des Dr. Franz Richarz verbrachte, als verschollen. Rechtzeitig zum Schumann-Festjahr konnten die medizi­nischen Eintragungen endlich als Buch veröffentlicht werden. [Vgl. Rez. FM 2006/3, S. 290f] Dafür hatte der Komponist Aribert Reimann gesorgt, in dessen Besitz die streng gehüteten Unterlagen 1988 durch eine Erbschaft gelangt waren.
Einer der ersten, denen Reimann Einblick in die Aufzeichnungen gewährte, war der Publizist Peter Härtling. Dessen Roman-Biographie Schumanns Schatten, die sich auf die Krankenakten des Dr. Richarz stützt, konnte deshalb schon 1996 erscheinen und liegt nun als Neuauflage vor.
In seinem collageartigen Porträt setzt Härtling kurze, häufig scharf kontrastie­rende Szenen gegeneinander. Da wechseln Szenen aus der Endenicher Privatklinik, der Chronik eines qualvollen Siechtums, mit den wichtigsten Stationen seines Lebens und seines musikalischen Werdegangs. Einfühlsam und zurückhaltend in seinen Deu­tungen, erzählt der Autor von Schumanns Kindheit in Zwickau, von Studium und Ar­beit in Leipzig, Dresden und Düsseldorf, von der Auseinandersetzung mit Wagner, der Freundschaft zu Mendelssohn und Brahms und der großen, konfliktbeladenen Liebe zu Clara Wieck.
Härtling vermeidet es geschickt, ein glattes Bild des großen Romantikers zu zeich­nen, sondern deutet immer auch die Schatten an: den Selbstmord der älteren Schwes­ter, an dem der Vater zerbricht, das frühzeitige Rollenspiel, das der junge Robert als Überlebensstrategie erlernt oder seine Syphilis-Erkrankung. Die letzten beiden Lebensjahre erzählt Peter Härtling aus der Perspektive des Krankenpflegers Tobias Klingelfeld, der sich um den neu in die Endenicher Anstalt eingelieferten Musikdirektor kümmern soll. Obwohl die Pflege des zunehmend hilf­losen und geistig verwirrten Kranken seine Kräfte oft überfordert, erkennt Klingelfeld das Besondere in seinem Patienten und behandelt ihn mit größtem Mitgefühl. Jede Dämonisierung wird so schon im Keim erstickt. Vielmehr sind eindrucksvolle, zarte und melancholische Kapitel entstanden, die von den letzten beiden Lebensjahren Ro­bert Schumanns erzählen, in denen der Komponist der Welt längst abhanden gekom­men war.
Ein atmosphärisch dichter Künstlerroman, in den man förmlich hineingesogen wird.

Friedegard Hürter
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 27 (2006), S. 384f.

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