Wagner & Cinema / Hrsg. von Jeongwon Joe und Sander L. Gilman [Markus Bandur]

Wagner & Cinema / Hrsg. von Jeongwon Joe und Sander L. Gilman. – Bloomington, Indianapolis: Indiana University Press, 2010. – XIII, 487 S.: s/w-Abb., Notenbeisp., Filmographie, Register
ISBN 978-0-253-22163-6 : $ 29,95 (kart.)

Dieser Sammelband verbindet mehrere Fragestellungen. Die Nähe von Wagners Werken zu Filmmusik allgemein und zu den spätromantisch grundierten Partituren der großen Hollywoodfilme im besonderen bildet hier nur einen von mehreren Zugängen zum Thema. Ziel ist vielmehr die Erhellung der zahlreichen Verbindungslinien, die sich zwischen dem Musikdrama Wagners und der Filmkunst überhaupt ziehen lassen; die Thematik weist somit über die triviale und schiefe Parallelisierung von sogenannten filmmusikalischen Leitmotiv-Verfahren mit Wagners Technik weit hinaus.
Der erste Teil widmet sich dem Thema Wagner und der Stummfilm. J. Buhler fragt in seinem Beitrag nach dem Einfluss von Wagners Musik auf das Repertoire der Kinomusik und sieht diesen vor allem in der reflexiven (und damit extra-diegetischen) Natur der leitmotivischen Struktur sowie der Gestaltung von musikalischen Übergängen mit Hilfe der ,Unendlichen Melodie‘ analog zu dem um 1910 aufkommenden Bewusstsein eines zusammenhängenden, raum-zeitliche und logische Aspekte der Narration respektierenden und betonenden Filmschnitts. In gleichsam umgekehrter Blickrichtung beobachtet P. Franklin, wie der Stummfilm überhaupt auf Wagners Konzept von musikalischem Drama reagiert. Zwei weitere Beiträge wenden sich konkreten Stummfilmen zu: P. Fryer untersucht den 1913 gedrehten Wagner-Film von Carl Froelich, zu dem Giuseppe Becce, der auch die Titelrolle spielte, die Musik schrieb, die eine der ersten eigens für einen deutschen Film komponierten Partituren darstellt; die drei Fassungen von Fritz Langs Film Die Nibelungen (1924) befragt A. Mueller mit Blick auf die jeweils verwendet Filmmusik (Huppertz Originalkomposition 1924; Hugo Riesenfelds Kompilation 1925 für den amerikanischen Markt sowie Huppertz’ Überarbeitung anlässlich der Wiederveröffentlichung 1933) und konstatiert – nicht immer ganz überzeugend vor allem mit Blick auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten – ein jeweils differierendes Wagner-Verständnis.
Der zweite Teil verfolgt die Nachwirkungen von Wagners Musik in Hollywood-Filmen: Die Spuren von Wagners Denken in der Filmmusik von Max Steiner beschreibt D. Neumeyer, nicht ohne zu betonen, wie Steiner Wagners Opernkonzeption bewusst mit den Auffassungen anderer Komponisten ausbalancierte; E. Rieger sieht – gleichfalls ausgehend von Steiner – Parallelen zu Wagner in der musikalischen Charakterisierung von Frauen in der damaligen Filmmusik und W. H. Rosar zieht eine Verbindungslinie zwischen der Musik zweier amerikanischer Science-fiction-Filme aus dem Jahr 1951 und Wagner mit Hilfe der durchaus zutreffenden Kategorie des Numinosen, die als religiöses Konzept Aspekte des Unheimlichen, der Furcht sowie des Dämonischen und Monströsen verknüpft.
Auch der dritte Teil wendet sich Hollywood zu, untersucht aber bevorzugt Filme, die Wagners Musik konkret in ihrem Soundtrack verwenden: M. J. Citron sieht in Negulescos Film The Humoresque (1946) ausgehend von der verwendeten Liebestod-Bearbeitung Franz Waxmanns die weibliche Hauptfigur in vielerlei Facetten angelehnt an Wagners Isolde, nicht zuletzt auch aufgrund der Substitution der sprachlichen Kommunikation durch den musikalischen Ausdruck. Ridley Scotts Gladiator (2000) steht im Mittelpunkt von M. Weiners Untersuchung; er vermutet, dass die gelegentliche Anlehnung von Hans Zimmers Filmmusik an Wagners Opern als – durchaus auch ironisch gemeinter – Hinweis auf die jüngere deutsche Geschichte oder zumindest als Andeutung einer Parallelisierung zu lesen sei. Die hier aufscheinende Schwierigkeit, die Semantik solcher Zitate eindeutig zu greifen, ohne die Verwendung eines bestimmten musikalischen Ausdrucksvokabulars vorschnell mit der Vereinnahmung dieser semantischen Valeurs durch die Nationalsozialisten gleichzusetzen, kennzeichnet auch N. Lerners Beitrag, der der durchaus ironischen Verwendung von Wagners Musik in einem Klamauk-Zeichentrickfilm nachgeht, dessen Handlung die Auseinandersetzung mit japanischen Soldaten im Pazifik beschreibt. Anhand von Mitchell Leisens Film The Golden Earrings (1947) und der an Wagner angelehnten Filmmusik Victor Youngs macht S. D. Paulin deutlich, wie die noch bis 1945 funktionierende Verweisungsfunktion von Wagners Musik auf das nationalsozialistische Deutschland (etwa in den zahlreichen amerikanischen Propagandafilmen, aber auch in Spielfilmen) nach dem Krieg einer Neukontextualisierung wich, die auf einer Depolitisierung von Wagners Musiksprache und ihrer Einbindung in den spätromantischen Gestus der Filmmusik Hollywoods beruhte.
Dass die Verknüpfung von Wagners Werk und dem Nationalsozialismus speziell in Deutschland dennoch weiterhin Bestand hatte, zeigen die Aufsätze in Teil 4, die sich Wagner im deutschen Kino zuwenden. Roger Hillmann beschreibt anhand von Filmen Syberbergs, Reitz’ und Herzogs die Bemühungen des deutschen Kinos, Wagner aus der politischen Vereinnahmung zu befreien und ihn wieder neu zu lesen. J. Tambling interpretiert ausgehend der These von Opern und Filmen als ,Kraftwerken der Emotionen‘ die Rolle Wagners in Alexander Kluges Filmschaffen. Beginnend mit einem Überblick über die Kultur der Oper und des Films in der DDR bis zur Mitte der 60-er Jahre untersucht J. H. Calico Joachim Herz’ DEFA-Verfilmung von Wagners Der fliegende Holländer (1964). Der letzte Teil „Wagner beyond the Soundtrack“ verfolgt die Spuren Wagners im Kino jenseits des Musikalischen, so in der Erforschung des Liebestod-Topos im Hollywood-Film (E. Bronfen), in einer ausführlichen Untersuchung von Luchino Viscontis Film Ludwig (G. Biancorosso) sowie einer gleich zweifachen Auseinandersetzung mit Bill Violas Tristan Project (J. Joe, L. Kramer).

Markus Bandur
Berlin, 15.10.2012

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