Eva Fox-Gál und Anthony Fox: Hans Gál. Ein Jahrhundert Musik [Peter Sühring]

Fox-Gál, Eva und Anthony Fox: Hans Gál. Ein Jahrhundert Musik / Hrsg. von Gerold Gruber – Berlin: Hentrich & Hentrich, 2012. – 88 S.: Abb. (Jüdische Miniaturen ; 131)
ISBN 978-3-942271-77-6 : € 8,90 (kt.)

Obwohl das Buch von Tochter und Schwiegersohn geschrieben ist, welche also über intime Kenntnisse der Person und des Werks von Hans Gál (1890–1987) verfügen, verfällt es nie in einen familiären, distanzlosen oder apologetischen Ton. Es berichtet sachlich und sympathisch unaufgeregt über das Leben eines trotz mancher Niederlagen heiteren Menschen, dem es gelang, auch in bedrückenden Lebenslagen als Musiker produktiv zu bleiben. Vielleicht hat mancher ältere Musikkenner oder -liebhaber in seiner Bibliothek noch Bücher oder Musikalien von Gál, beispielsweise seine Monografie über Brahms (letzte Auflage als Taschenbuch 1980) oder einiges von seinen musizierpraktischen Werken, die ausdrücklich auch für gute Hausmusik gedacht und geeignet sind, sogar für Instrumente von Spielleute- und Bläserensembles. Man wird sich dann entweder an den hohen, ideal gestimmten Ton von Gáls Prosa und an die Mitteilung im Klappentext, der Autor habe vier Sinfonien und Opern geschrieben, oder an angenehme Klänge erinnern. Und man muss heute fragen, wo diese Werke im Repertoire der Konzerte und in der Diskographie geblieben sind, obwohl es immer noch oder wieder einige CDs von ihm gibt.
Hans Gál war als Musiker ein aus rassischen Gründen Verfolgter und brauchte nicht auch noch politisch links zu stehen oder im Kompositorischen zur einer von den Nationalsozialisten als „entartet“ verfemten Richtungen zu gehören. Sein Schicksal wird auch in den beiden Standwerken zur Musik im Nationalsozialismus von Joseph Wulff und Fred. K. Prieberg erwähnt. Er zählte musikalisch nicht zu den Neueren und Avantgardisten; sich seiner nicht nur im Sinne historischer Gerechtigkeit zu erinnern, ist trotzdem dringend geraten, denn alle von den Nazis unterdrückte Musik hatte es nach 1945 weiterhin schwer und wurde ein zweites Mal verdrängt oder gar nicht erst wieder bekannt, erst recht, wenn sie nicht zu einer der avantgardistischen Strömungen gehörte, die dann in Deutschland eine Lobby hatten. Auch wird sich der Irrtum, musikalischer Avantgardismus ginge automatisch mit politischer Liberalität zusammen, wohl erst von selbst erledigen, wenn beispielsweise die Briefe Anton von Weberns an seinen exilierten jüdischen Lehrer Arnold Schönberg publiziert sein werden, in denen dieser jenem die Kriegsziele des „Führers“ nahezubringen sucht.
Hans Gál komponierte im Angesicht der Tradition und für die Bewahrung und Erweiterung der traditionellen Musikformen, wie sie ihm noch bei Brahms überliefert waren, einfach weil ihm die erweiterte Tonalität ausreichte, um Werke seines (guten) Geschmacks zu schreiben. Er glaubte mehr durch Rückgriffe auf alte Techniken und Formen oder deren Wiederbelebung, wie z. B. den A-cappella-Gesang (womit er sich den Spitznamen Hans Madri-Gal einhandelte), musikalisches Neuland mit modernen Ausdrucksmöglichkeiten zu gewinnen als durch das hörbare Überschreiten von Grenzen. In Deutschland, wo der gebürtige Wiener seit 1928 wohnte, feierte er vor 1933 große Erfolge mit den Aufführungen seiner Opern und Orchesterwerke, ging 1933, nachdem die Nationalsozialisten ihn aus dem Amt der Direktors der Mainzer Musikhochschule geworfen hatten, für kurze Zeit zurück nach Wien, um 1939 endgültig den Kontinent zu verlassen. Eine zweite Heimat fand er in Edinburgh, wo er mit 97 Jahren starb, nachdem er noch bis ins hohe Alter wichtige Werke komponiert und aufgeführt hatte. Ein Teil davon wurde auch noch in Deutschland und Österreich bekannt, aber: Um Gál in seinem ganzen Reichtum kennenzulernen, bedürfte es einer intensiveren Wiederaufführung seiner Werke. Diesem Zweck möchte und sollte die vorliegende Einführung dienen, in der nicht nur über das wechselhafte Leben, sondern auch über das umfang- und gattungsreiche kompositorische Werk anhand markanter Beispiele berichtet wird. Die Fäden sind gerissen, aber sie sollten wieder neu geknüpft werden.

Peter Sühring
Berlin, 11.10.2012

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