Hartmut Bartmuß: Hugo Hirsch. “Wer wird denn weinen …” [Henry Larsson]

Bartmuß, Hartmut: Hugo Hirsch. “Wer wird denn weinen …” - Berlin: Hentrich & Hentrich, 2012. – 108 S.: Abb. (Jüdische Miniaturen ; 122)
ISBN 978-3-942271-54-7 : € 9,90 (brosch.)

Wer ist Hugo Hirsch? Ja, das wusste ich nicht, bevor ich diese kleine Schrift in meinen Händen hielt. Laut Hartmut Bartmuß, Theologe und Pfarrer, ist er der “ungekrönte König” der Berliner Operette. Falls “ungekrönt” bedeuten soll, er sei von der Welt total vergessen, so ist das Epitheton leicht zu verstehen. Zu beweisen aber, dass Hirsch (1884-1961) König über Paul Lincke, Walter Kollo, Paul Abraham, Jean Gilbert, Eduard Künnecke, Ralph Benatzky und andere erfolgreiche Operettenkomponisten in Berlin zu dieser Zeit gewesen sei, dessen bedarf es vermutlich mehr als dieser kleinen Schrift. Tatsächlich ist Hirschs Name in der Literatur und in der Diskografie schwer zu finden. In Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters hat er keinen eigenen Eintrag, aber Volker Klotz erwähnt ihn nebenbei als “Kleinstklamaukler”. Unter meinen CDs suche ich vergebens nach Hirschs grossem Hit aus dem Jahr 1918, Wer wird denn weinen, wenn man auseinander geht, obwohl das Lied von Interpreten wie Claire Waldoff und Marlene Dietrich aufgenommen wurde. Auf YouTube kann man das Lied in einer Filmsequenz mit einer rauchenden Marlene Dietrich am Klavier finden, ebenso wie ein paar andere Stücke von Hirsch wie z. B. den Marsch Jeder einmal in Berlin und ein Couplet in schwedischer Sprache mit dem Revuegenie aus Stockholm, Karl Gerhard.
Dass der in Birnbaum/Provinz Posen geborene Hirsch in Berlin und auch im Ausland riesengrosse Erfolge hatte, steht außer Zweifel. Vor dem Ersten Weltkrieg komponierte Hirsch Vaudeville-Operetten für Bühnen in Düsseldorf und Berlin. Er soll ein besonderes Talent für eingängige Schlager-Refrains gehabt haben. Die Operette Tangofieber erlebte 200 Aufführungen im Walhalla-Theater in Berlin. Die Scheidungsreise, musikalischer Schwank in vier Akten, mit Premiere im Deutschen Künstlertheater 1918, wurde 300 mal auf vier der Berliner Bühnen gegeben, unter anderen im Metropol-Theater und im Staatstheater am Gendarmenmarkt.
Allein Der Fürst von Pappenheim wurde in London unter dem Namen Toni 600 mal innerhalb eines Jahres aufgeführt. Gewiss scheint Hugo Hirsch sehr erfolgreich gewesen zu sein, zumal, da berühmte Interpreten wie Trude Hesterberg, Otto Reutter, Max Hansen, Marlene Dietrich und viele andere seine Lieder ins Repertoire aufnahmen. Auch in Nord- und Südamerika wurden seine Werke mit grossem Erfolg aufgeführt, und in Paris hatte er das Glück, mit Les Folies Bergère und Joséphine Baker zusammenzuarbeiten.
Diese kleine Schrift mit ihren sorgfältigen Quellenhinweisen legt den Schwerpunkt auf Hirschs Rückkehr nach Berlin nach dem Krieg und seine unermüdlichen Bemühungen um Wiedergutmachung nach der antisemitischen Verfolgung und Verleumdung der Hitlerjahre. Berlins Bürgermeister Ernst Reuter hatte den “ungekrönten Operettenkönig” gebeten, zurückzukehren. Zwei von Hirschs Operetten wurden Anfang der fünfziger Jahre verfilmt (Die tolle Lola und Der Fürst von Pappenheim), aber nach Reuters Tod 1953 mangelte es an Förderern, und Hugo Hirsch starb unter ärmlichen Bedingungen, enttäuscht und vergessen, 1961, drei Tage nach Beginn des Mauerbaus in Berlin. Seine “arische” Witwe Ottilie, die während der Exil- und Nachkriegsjahre seit 1930 treu an seiner Seite gestanden hatte, starb 1978 im Alter von 91 Jahren. Hugos und Ottilies Grabstein ist heute in Berlin-Dahlem zu finden.
Das kleine Buch ist hoffentlich ein erster Schritt zur Rehabilitierung dieses zu unrecht vergessenen Komponisten, der ohne Zweifel eine grosse Rolle im Kultur- und Vergnügungsleben im Berlin der Weimarer Republik spielte. Ein zweiter Schritt sollte eine deutlichere Fokussierung auf Hirschs Schaffen gerade während dieser Zeit bringen, die wohl die Glanzperiode seines Lebens gewesen ist.

Henry Larsson
Stockholm, 05.10.2012

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