Beck, Sabine: Vinko Globokar. Komponist und Improvisator. – Marburg: Tectum, 2012. – 510 S.: s/w-Abb., Notenbsp., 1 Daten-CD (Systematische Musikwissenschaft und Musikkulturen der Gegenwart ; 3)
ISBN 978-3-8288-2455-3 : € 34,90 (kart.)
Die Musikwissenschaft tut sich schwer mit der Improvisation. Seit dem 19. Jahrhundert geprägt durch den Umgang mit Schriftlichkeit und Werkcharakter ist ihr der Umgang mit den Verfahren und dem Ergebnis von improvisatorischen Abläufen zumeist nur eine lästige Pflichtübung. Dies gilt ganz besonders für die Praktiken des freien improvisatorischen Spiels, also für Techniken, die Rückbindungen an musikalische Idiome und harmonische oder melodische Vorlagen bewusst zu vermeiden suchen. Insofern ist es überaus verdienstvoll, dass die vorliegende Arbeit sich mit Vinko Globokar (*1934) einem Künstler und Musiker widmet, der ein Großteil seines Schaffens beharrlich gerade dieser weitgehend voraussetzungslosen, interaktiven Improvisationsform widmet. Die Schwierigkeiten einer solchen Untersuchung sind angesichts der fehlenden Analyseverfahren und der ambivalenten Beurteilung solcher Produktionsverfahren immens, so dass bei der Bewertung dieser Arbeit gewiss andere Maßstäbe anzulegen sind als bei einer Arbeit mit notierter und am Werkbegriff ausgerichteter Musik.
Wenn die aus einer Dissertation an der Universität Gießen hervorgegangene Arbeit von Sabine Beck gleichwohl nicht zu überzeugen vermag, so liegen die Ursachen allerdings weniger im Thema, als vielmehr in einer unkritischen, wenn nicht sogar fahrlässig naiven Herangehensweise an die Problematik. Zum einen fehlt eine Auseinandersetzung mit der Geschichte (und dem Begriff) der Improvisation, die für eine Verortung dieser Schaffens- und Spielweisen in der Musik im 20. Jahrhundert unumgänglich ist. Dies spiegelt schon das Seitenverhältnis der überaus knappen methodischen Einführung (25 Seiten) zum biographischen Abschnitt, der fast doppelt so umfangreich ausfällt. Zum anderen irritiert besonders die Einseitigkeit der Diskussion wesentlicher Punkte: So ist etwa die aufschlussreiche Zusammenarbeit von Globokars Gruppe mit Karlheinz Stockhausen, die schließlich aufgrund von prinzipiellen Differenzen hinsichtlich des Verhältnisses von improvisatorischer Spielweise und Autorschaft in einem Zerwürfnis endete, einzig aus Globokars Perspektive geschildert.
Damit verfehlt die Darstellung ihr Ziel vollständig und endet in der Sackgasse einer unkritischen Apologetik. Die langatmige Auseinandersetzung mit dem Schaffen des Komponisten und Improvisators Globokar bleibt zudem einer rein oberflächlichen und beschreibenden Darstellung verpflichtet, ohne dass die Autorin auch nur ansatzweise eine leitende Idee oder Fragestellung erkennen ließe. Fazit: Wer rein informative Auskünfte zu Leben und Schaffen Vinko Globokars sucht, findet hier einen reichen Steinbruch an Materialien (die Daten-CD enthält zusätzliche ergänzende Informationen zu den Werken sowie einige Programmhefte aus den Jahren 1965 bis 1982 und eine Rezension). Neue Erkenntnisse zum Phänomen der freien Improvisation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und zur Relevanz dieser Praxis für die Erweiterung des Musikbegriffs nach 1950 sucht der Leser allerdings vergebens.
Markus Bandur
Berlin, 04.10.2012