Wolfgang Herles: Opernverführer [Michaela Krucsay]

Herles, Wolfgang: Opernverführer. Zehn Geschichten von Liebe, Wahnsinn und Tod – Leipzig: Henschel, 2012. – 160 S.: 33 farb. Abb.
ISBN 978-3-89487-719-4 : € 19,90 (geb.)

So charmant und schön es auch sein kann, sich auf eine Verführung mit Haut und Haar einzulassen, zählt eines doch zu den grundlegenden Erfahrungen, die wohl jeder Mensch irgendwann in seinem Leben machen muss: Stets folgt der „Morgen danach“ – ganz gleich, welcher Art die Verführung auch gewesen sein mag – , und oft entscheidet sich erst dann, ob man das Erlebte mit genussvoller Befriedigung Revue passieren lassen kann oder ob doch die schale Katerstimmung enttäuschter Erwartungen zurückbleibt. Nicht jeder Verführer hält, was er verspricht – und leider trifft dies auch auf Wolfgang Herles Opernverführer zu.
Der Autor, ein bekannter Fernsehjournalist (Das blaue Sofa, ZDF), will sich überwiegend an Neulinge auf einem weiten und von Stolpersteinen bekanntlich nicht gerade freien Terrain mit seinem Buch wenden: „Es will informieren, es will unterhalten, auch Lust machen auf Regietheater, auf die Wagnisse der Oper.“ (S. 8) Ob der Autor sein solcherart gestecktes Ziel wird erfüllen können, muss allerdings bezweifelt werden. In zehn Kapiteln wird zu diesem Zweck eine weitgehend willkürliche Auswahl an Opern präsentiert, wobei die Logik von deren Anordnung jenseits aller Chronologie sich allein aus dem Leseprozess nicht erschließen lässt: Mit Beethovens Fidelio beginnend führt Herles die Leserschaft vorbei an Mozart (Don Giovanni), Puccini (Tosca) und Dvořák (Rusalka) zu Monteverdis L’Incoronazione di Poppea, um nach Strauss’ Salome als Kulminationspunkt über Schönberg (Moses und Aron), den uns zeitgenössischen Mark-Anthony Turnage (Anna Nicole) zu Verdi (La Traviata) zurückzuführen und mit Wagners Rheingold den Vorhang zu schließen. Der Sinn hinter dieser speziellen Anordnung, die sichtlich weder inhaltlich nach dem Opernstoff, noch chronologisch nach der Entstehungszeit und auch nicht nach dem Datum der Erstaufführung der von Herles zur Grundlage seiner Publikation gewählten Inszenierungen gewählt worden sein kann, erschließt sich weder auf den flüchtigen ersten, noch auf den kritischen zweiten Blick: Die „fortlaufende Geschichte“ (S. 9), vom Autor in dessen Vorwort versprochen, wird nicht greifbar. Auch innerhalb der einzelnen Abschnitte mangelt es teils an der nötigen Stringenz, sodass gerade die Zielgruppe der Opernneulinge und interessierten Laien, die eigentlich angesprochen werden sollte, Gefahr laufen, sich im Dickicht der Gedankengänge des Autors zu verlieren. Gerade im Eingangskapitel Fidelio bewegt sich dieser sprunghaft zwischen dem Kommentar der Oper an sich und anekdotenhaften Anmerkungen zur Inszenierung, sodass ein Mindestmaß an Hintergrundwissen zum Verständnis dessen, was Herles mitteilen will, unabdingbar ist. Mit fortschreitender Lektüre scheint sich jedoch eine gewisse Routine einzuspielen, der Stil wird flüssiger und durchaus gut lesbar. Ist man bereit, über die eine oder andere grobe Vereinfachung bis hin zu vereinzelt auftretenden inhaltlichen Fehlern hinwegzusehen, so kann man Herles „Opernverführer“ einen gewissen Unterhaltungswert nicht absprechen, und so manche Überlegung des literarisch versierten Autors lädt durchaus zur weiteren Reflexion ein. Der mit kurzen Kommentaren annotierte Bildteil stellt eine hilfreiche Ergänzung zum Lauftext dar, der sonst für jene LeserInnen, die einzelne Inszenierungen nicht selbst miterleben konnten, allzu viel der hier zwingend unzulänglichen Fantasie überlassen würde. Das abschließende „Verzeichnis der besprochenen Inszenierungen“ erleichtert nicht nur die Übersicht, sondern fungiert gleichzeitig auch als auf die jeweiligen Programmhefte beschränkte Bibliographie. Belege durch Fuß- oder Endnoten existieren nicht. Schade: auch bei Zitaten wie etwa des Philosophen Søren Kierkegaard (S. 25) verzichtet Herles auf die Angabe der Originalquelle. Immerhin erhöht ein Namensregister die Benutzerfreundlichkeit.
Was am Ende bleibt, ist ein Gefühl der Orientierungslosigkeit und die Vermutung, dass es schwer sein wird, Wolfgang Herles’ „Opernverführer“ der von ihm intendierten Zielgruppe nahezubringen. Als Opernführer, der LeserInnen auf der Suche nach grundlegenden Informationen eine Stütze bietet, ist er sichtlich nicht einzustufen; auch setzt sein Verständnis, wie gesagt, ein Mindestmaß an Grundlagenwissen voraus. Für versierte Opernliebhaber hingegen wird er wohl nicht allzu viel Neues zu bieten haben. Am ehesten noch richtet sich das Buch an am Regietheater interessierte Operngänger, die sich Herles’ Überlegungen zu von ihnen bereits besuchten Inszenierungen in Form einer entspannenden Lektüre zu Gemüte führen möchten.

Michaela Krucsay
Leoben, 29.07.2012

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