Andreas Mayser: Die Privilegierung von Musikverlegern durch Sonderregelungen für Musiknoten im Urheberrecht [Armin Talke]

Mayser, Andreas: Die Privilegierung von Musikverlegern durch Sonderregelungen für Musiknoten im Urheberrecht. Eine Analyse unter Berücksichtigung des Dreistufentests. Zugl. Diss (Univ. Freiburg/Br.). – Baden-Baden: Nomos, 2012, 171 S. (Schriftenreihe des Archivs für Urheber- und Medienrecht (UFITA) ; 264)
ISBN 978-3-8329-6626-3 : € 44,00 (kt.)

Ist die Sonderbehandlung von Musiknoten im Urheberrechtsgesetz gerechtfertigt? Das ist die Kernfrage der erhellenden Doktorarbeit von Andreas Mayser, eingereicht an der Universität Freiburg.
Für die Regelung in § 46 Abs.2, nach der Werke der Musik ausnahmsweise NICHT in Sammlungen aufgenommen werden dürfen, wenn sie für den Unterricht in Musikschulen bestimmt sind, beantwortet er die Frage mit einem klaren JA. Für § 53 Abs.4a, nach der Notenblätter („graphische Aufzeichnungen von Werken der Musik“), anders als (fast) alle anderen Werkarten, überhaupt nicht kopiert werden dürfen, beantwortet er die Frage mit einem erfrischenden und ebenso klaren NEIN. Die Behandlung der letztgenannten Frage ist sozusagen das Konzentrat der Arbeit, das dem Leser auf den Seiten 124-141 als starke und gehaltvolle Suppe gut schmeckt – vielleicht sogar, wenn er Inhaber eines Musikverlags ist. Denn auf diesen Seiten werden die wichtigsten Schlüsse gezogen und sehr nachvollziehbar sowie gut abgewogen begründet:
Was ist so anders an Musiknoten als an anderen Werken wie z.B. Romanen, Grafiken, Postkarten usw.? Wieso werden Noten von den für die anderen Werke geltenden Ausnahmeregeln ausgeschlossen und die Musik-Nutzer benachteiligt? Der Verfasser baut seine Argumentation klar auf: Ausgehend von der Begründung des Gesetzgebers, durch den 1983 die Sonderregelung eingeführt wurde (immer leichtere Vervielfältigungsmöglichkeiten gegen hohe Produktionskosten beim Notenstechen), stellt er dar, dass die Basis für die Privilegierung damals eigentlich nur der Schutz der Musikverleger gewesen sein kann, nicht aber der der Rechteinhaber – denn nicht dieser, sondern der Verlag trug natürlich die teuren Stech-Investionen. Das wiederum riecht stark nach einem Leistungsschutzrecht (denn der Investitionsschutz ist eigentlich nicht Gegenstand des Urheberrechts selbst), worauf Mayser auch hinweist. Das Argument des Gesetzgebers, dass gerade die (angebliche?) Praxis in Chören (1x Noten besorgen und für alle Mitglieder kopieren) die Sonderbehandlung rechtfertige, entlarvt Mayser mit einem einfachen, aber ausreichenden Argument als Scheinargument: Zur Verhinderung dieser Praxis ist § 53 Abs.4a völlig unnötig! Der Gesetzgeber ist hier über sein Ziel, diesen Chor-Usus zu verhindern, weit hinausgeschossen. Einerseits geht es bei Chören meistens nicht nur um das Einstudieren von Liedern, sondern sie wollen mit den eingeübten Stücke auch auftreten. Für die öffentliche Aufführung jedoch brauchen sie ohnehin die Zustimmung des Rechteinhabers, also in der Regel des Musikverlages oder der VG Musikedition. Abgesehen davon ist fraglich, ob die vollständige Kopie der Chorstimmen noch als erlaubte „Privatkopie“ gelten würde. Da spricht einiges dagegen. Also: Die Kopien bzw. deren Nutzung wären mangels Zustimmung des Rechteinhabers sowieso verboten – auch ohne die Musik-Regelung des § 53 Abs. 4a.
Auf der anderen Seite werden durch die Sonder-Regel aber die Privatkopie und die Kopie für wissenschaftliche Zwecke, anders als bei anderen Werktypen, verboten, ohne dass es für diese Ungleichbehandlung einen Grund gibt: Denn einzelne Kopien von Privatleuten und Wissenschaftlern werden von anderen Werken genauso angefertigt, wobei teilweise auch hier die Produktionskosten hoch sein können. z.B. bei Fachpublikationen mit kleiner Auflage. Musikwissenschaftler, Ihr seid gar nicht so besonders ! Trotzdem dürft Ihr die Forschungsobjekte für Eure Arbeit nicht kopieren und werdet damit gegenüber allen anderen Wissenschaftlern diskriminiert.
Das lassen sich Musikwissenschaftler aber ohnehin nicht gefallen, genausowenig wie musikinteressierte Privatleute: Sie kopieren trotzdem, weil es eh keiner kontrollieren kann. Und genau das war bei Erlaubnis der Privatkopie eigentlich das wichtigste Argument des Gesetzgebers: Trotz unmöglicher Kontrolle Einnahmen für die Urheber sichern !
Weil aber nun die Musiknoten hiervon ausgenommen sind, fließen den Urhebern über die Verwertungsgesellschaften auch keine Pauschalvergütungen, die in den anderen Bereichen für das (erlaubte) Kopieren ausgeschüttet werden, zu. Davon profitiert am Ende keiner, nicht mal die Verlage und am allerwenigsten die Urheber, für deren Schutz das Urheberrechtsgesetz eigentlich da ist.
Noch einmal zurück zu den Kosten für die Notenproduktion: Mayser stellt fest, dass das damalige Argument des Gesetzgebers sich mittlerweile weitgehend in Luft aufgelöst hat. Computerprogramme haben längst weitgehend den Notenstich abgelöst und Notenherstellung preiswert gemacht.

Der Verfasser sorgt durch seine Argumentation dafür, dass sich nur ein Ergebnis aufdrängt: Das (fast absolute) Kopierverbot für Musiknoten muss aufgehoben werden, damit die Urheber von der Pauschalvergütung profitieren können und die Musiknoten-Nutzer nicht unnötig diskriminiert werden.
Die anderen Sonderregeln für Musiknoten spielen in der Dissertation eine vergleichsweise kleine Rolle: Der bereits oben erwähnte § 46 Abs.2 ist gerechtfertigt. Beim Notengebrauch in Sammlungen für Unterrichtszwecke in Musikschulen gibt es einerseits keine Schlechterstellung gegenüber der erlaubten Nutzung von Sammlungen anderer Werke. Andererseits wird hier nicht – wie beim Kopierverbot – gleich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, sondern der Gesetzgeber schneidet mit geradezu chirurgischer Präzision einen erheblichen Absatzmarkt für Musikverlage heraus: Bei der Verwertung von Sammlungen für Musikschulen spielen eben nur Musikverleger eine Rolle.
Trotzdem bleibt offen, ob die getroffene Regelung zugunsten der Musikverleger nicht doch unglücklich ist: Mayser weist zwar auf den Zweck der Ausnahme des § 46 Abs.1 („Interesse der Allgemeinheit an der Jugenderziehung und Religionspflege“) hin, jedoch bleibt am Ende ein leiser Zweifel, ob – trotz der vielen gewerblichen Musikschulen – die Privilegierung nicht auch die musikalische Erziehung in den hierfür spezialisierten Lehranstalten erfassen sollte.
Weil Mayser den § 53 Abs.4a UrhG völlig zu recht aufgehoben sehen möchte, gibt es aber jetzt ein Problem: Auch Kopien von Noten für den Unterrichtsgebrauch in Musikschulen werden dann wieder nach § 53 Abs.3 UrhG zulässig! Daher ist seine Forderung nach einer eng begrenzten Bereichsausnahme von der Kopierschranke sehr nachvollziehbar, weil hier natürlich die gleiche Argumentation gilt wie bei den Sammlungen für Musikschule. Der Verfasser legt in seiner Arbeit sogar einen an § 46 Abs.2 UrhG angelehnten Formulierungsvorschlag zur Ergänzung von § 53 Abs.3 vor.
Die Dissertation ist sehr lesenswert, und zwar nicht nur wegen der klaren Argumention und der Aufdeckung des Fehlschusses des Gesetzgebers bei der Einführung von § 53 Abs.4a, sondern auch, weil sie ausführlich über die Grundlagen des Musikverlagswesens und die rechtlichen Voraussetzungen für Musikverlage aufklärt. Mir jedenfalls die Lektüre viel gebracht !

Armin Talke
Berlin, 23.07.2012

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