Jens Rosteck: Paris. Die Stadt und ihre Musik [Gertraud Voss-Krueger]

Rosteck, Jens: Paris. Die Stadt und ihre Musik.– Regensburg: Bückle & Böhm 2012. –341 S.: Farb- und s/w-Abb., Notenbeisp. (Schauplatz Musik)
ISBN 978-3-941530-00-3 : € 25,90 (geb.)

Die neue Reihe Schauplatz Musik, die sich nicht nur als Reiseführer zur aktuellen Musikszene, sondern auch als Lesebuch zur Musikgeschichte der jeweiligen Stadt versteht,  wird bezeichnenderweise mit dem überaus lesenswerten Paris-Band eröffnet, – schließlich kann die französische Metropole mit Fug und Recht als Wiege der europäischen Musikgeschichte (Stichwort Notre-Dame-Schule) bezeichnet werden. Oder wie schon Karl V. sagte: „Andere Städte sind Städte. Paris ist eine Welt“.
Der Autor, der seit 2002 in Nizza lebt und zuvor zwölf Jahre in Paris verbrachte, ist ausgewiesener Kenner der französischen Musikszene. An musikliterarischen Beiträgen hat er bislang Bücher über Lotte Lenya und Kurt Weill (Zwei auf einer Insel, 1999, s. Rez.), Bob Dylan (2006, s. Rez.) und Hans Werner Henze (2009, s. Rez.) veröffentlicht.
Im Prolog beschäftigt er sich mit der „Befindlichkeit“ der Stadt, die wie kaum eine andere Großstadt weniger ein Ort als eine Chiffre für „Sehnsüchte“ mit allen dazugehörigen Klischees ist. Er lädt ein zur musikalischen Erkundung der Stadt, deren Lebensprinzip auch lauten könnte „être en mouvement“. Seine „invitation au voyage“ gliedert sich in vier chronologisch sortierte Hauptkapitel: von den Anfängen bis 1581, 1605-1800, 1801-1913, 1917-2011. Jedes Kapitel verwendet die gleichen, der rascheren Orientierung dienenden selbstähnlichen Begriffe: Damals, Die Epoche, Ein Werk, Außer Haus, Zeitensprung, Arabesque.
Sind die ersten drei Begriffe selbsterklärend, so bedürfen die übrigen wohl einer Erläuterung.
Im Kapitel Außer Haus unternimmt der Autor gemeinsam mit dem Leser Spaziergänge durch die Stadt, die zu Musiker-Domizilen, Denkmälern, Kirchen (z.B. Sainte Trinité, der Wirkungsstätte Messiaens), Veranstaltungsorten, Forschungsstätten (IRCAM), Bibliotheken (Cité de la Musique) usw. führen. Besonders reizvoll und gut zu erkunden ist die „kleine Friedhofs-Flanerie“, die zu Musiker-Grabmälern auf den drei bekanntesten Cimetières Père Lachaise, Montmartre und Montparnasse führt, die die ganze Bandbreite zwischen Demut und Devotionalien vorführen (Jim Morrison!) und den musikalischen Paris-Touristen wohltuend aus dem geräuschvollen Getriebe der Großstadt herausführen.
Der Brückenschlag zur Gegenwart wird in Zeitensprung vollzogen. Hier kann es um Großstadt-Tangos und sozialen Wohnungsbau gehen oder aber um ein Porträt der „Pasionaria des Originalklangs“ Emmanuelle Haim, die die Rezensentin jüngst bei ihrem Paris-Aufenthalt als Dirigentin einer Rameau-Oper im Palais Garnier, zusammen mit ihrem Eliteensemble Concert d’Astrée, erleben und bewundern durfte.
Arabesque empfiehlt Paris-Bücher und -beschreibungen von Heinrich Heine über Walter Benjamins Passagenbuch bis zu Franz Hessel oder beschäftigt sich mit Paris als Schauplatz von (Musik)-Filmen.
Der Service-Teil im Anhang verzeichnet wichtige Adressen von Musikbühnen, Konzertsälen, Bibliotheken, Musikalienhandlungen, CD-Läden, Kirchen, Festivals, Märkten, Friedhöfen, Kulturinstituten, Jazz- und Rockclubs (jeweils mit Angabe der Verkehrsanbindung). Hierbei wären präzisere Angaben wünschenswert: beispielsweise wird das „Musée de la Musique“ in der „Cité de la Musique“ zwar im Text beschrieben, aber nicht im Service-Teil genannt.
Rostecks Intention, die Rhapsodie einer Weltstadt entstehen zu lassen, ist voll aufgegangen.
Die ansprechende und abwechslungsreiche Typographie, das sorgfältig ausgesuchte Bildmaterial tragen zur Bereicherung der Lektüre bei und laden ein zum Blättern, Verweilen oder auch nur Querlesen. Der Band ist also für Paris-Reisende mit ausgeprägtem Musikinteresse geradezu ideal. Wenn man ihn infolge seines Gewichts nicht immer mit sich tragen mag, kann man ihn ja im Hotelzimmer deponieren!
Als weitere Bände in der Schauplatz-Reihe sollen London von Dorothea Schröder und Rom von Birgit Schmidt erscheinen; in Planung sind München, Venedig, Wien.

Gertraud Voss-Krueger
Ostfildern, 21.07.2012

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