Johannes Volker Schmidt: Hans Rott – Leben und Werk

Schmidt, Johannes Volker: Hans Rott – Leben und Werk. – Hildesheim: Olms, 2010. – 419 S.: Ill., Notenbsp.
ISBN 978-3-487-14222-7 : € 74,00 (geb.)

„Im Coupé zog er gegen einen Reisenden, der sich eine Cigarre anzünden wollte, seinen Revolver, weil er sein Leben gefährdet sah, im Glauben, Br[ahms] habe den Wagen mit Dynamit füllen lassen“. Diese in der Krankenakte Rotts im Allgemeinen Krankenhaus Wien geschilderte Episode ist wohl das Spektakulärste, was gemeinhin von Hans Rott (1858–1884) bekannt ist – wenn überhaupt. Er teilt das Schicksal so mancher hoffnungs­voller, früh verstorbener Komponisten (Ludwig Schunke oder Julius Reubke, um nur zwei zu nennen), die in der allgemeinen Wahrnehmung kaum eine Rolle spielen. Dabei lohnt es sich durchaus, sich auf Rott einzulassen: Einige Instrumentalwerke, darunter die geniale 1. Sinfonie, liegen mittlerweile auf CD vor. Die Wiederentdeckung des Komponisten Rott Mitte der 1990er Jahre ist der Tatsache zu verdanken, dass sich der englische Musikwissenschaftler Paul Banks im Zuge seiner Forschungsarbeiten zum jungen Gustav Mahler systematisch mit der Sichtung des Rott-Nachlasses in der Österreichischen Nationalbibliothek befasste. Die Auseinandersetzung mit diesem Werk und dessen unerhörter kompositorischer Qualität bot Anlass für eine Neube­wertung der spätromantischen Musik, insbesondere der Mahlers, dessen eigenes sin­fonisches Werk, das nach Rott entstand, ohne diesen nicht zu denken wäre. Mahler hat selbst Rott mehrfach als den Begründer der neuen Symphonie bezeichnet. Im angloamerikanischen Sprachraum fand diese musikalische Wiederentdeckung sofort publizistischen Niederschlag, hierzulande befasste sich die Musikwissenschaft bislang nur in der Reihe Musikkonzepte (Band 103/104 Hans Rott – Der Begründer der neuen Symphonie, 1999) mit dem Phänomen Rott, der allenfalls als Lieblingsschüler Bruck­ners und konkurrierender Studienkollege Mahlers Erwähnung fand. Man fragt sich schon, ob es in Zeiten knapper öffentlicher Kassen lohnt, 74,00 € für eine Monografie auszugeben, die sich mit einem unbekannten Komponisten des Wiener Fin de Siècle beschäftigt, der mit 26 Jahren in geistiger Umnachtung starb, noch nicht einmal in gängigen Lexika Erwähnung findet, und den Brahms unter allen Umständen vom Komponieren abbringen wollte. Das Verdienst der vorliegenden Dissertation liegt zum einen in der umfangreichen Biografie, ergänzt um die Veröffentlichung unbekannter Dokumente und der Analyse der wichtigsten Werke. Andererseits ist die stilistische Einordnung der Kompositionen Rotts nichts weniger als eine Neubewertung und Rehabilitation eines zu Unrecht Vergessenen; die editorische Betreuung ausgewählter Werke beim Verlag Ries & Erler, die zur Dissertation gehört, soll sicherstellen, dass in Zukunft verlässliches Notenmaterial zur Verfügung steht. Gleichzeitig ist das Buch durch seinen systematischen Aufbau als Bibliografie zu nutzen, die mit Werkverzeich­nis, ausführlichem Anhang und diversen Registern durch hohe Qualität besticht.

Claudia Niebel
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 32 (2011), S. 60f.

 

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