Wolfgang Beyer und Monica Ladurner: Im Swing gegen den Gleichschritt. Die Jugend, der Jazz und die Nazis [Stefan Domes]

Beyer, Wolfgang und Monica Ladurner: Im Swing gegen den Gleichschritt. Die Jugend, der Jazz und die Nazis - St. Pölten [u.a.]: Residenz., 2011. – 241 S.: Ill.
ISBN 978-3-7017-3218-0 : € 21,90 (Pb.)

Die Zeitzeugen, die in der Zeit des Nationalsozialismus wegen ihrer Leidenschaft zum Jazz in Konflikt mit dem Regime gerieten, sind unter Musikern und Hörern zu finden und können verschiedene Erlebnisse schildern. Das Buch berichtet hauptsächlich von den Fans des Jazz. Es vertieft den preisgekrönten 70-minütigen Dokumentarfilm Schlurf – Im Swing gegen den Gleichschritt der selben Autoren aus dem Jahr 2009. Wer den Film gesehen hat, kommt am Buch nicht vorbei, weil man viele Texte des Films im Buch nachlesen kann.
Als „Schlurfs“ wurden in Österreich „jugendliche Gammler“ bezeichnet, die aber meistens Arbeiter oder Lehrlinge waren. „Schlurfkatzen“ zeigten „skandalös kurze Röcke“, schminkten sich auffällig und stolzierten auf Stöckelschuhen. Männliche Anhänger dieser Subkultur trugen Hüte mit gebogener Krempe, zu lange Haare, karierte Sakkos und doppeltbesohlte Schuhe. Sie ließen eine Zigarette im Mundwinkel hängen und hörten Jazz. Ihr Heiligtum waren tragbare Koffergrammophone, aber auch das Radio zeigte sich in der Parole „Alles wird gut“ mit gleichzeitigem Drehen des Jackenknopfs, einer Verabredung zum Hören von Jazz bei „Feindsendern“.
Schauplätze dieser Subkultur gab es besonders in Österreich, aber auch in Deutschland, wo die Szeneanhänger als „Swingheinis“ oder „Swings“ bezeichnet wurden. In Frankreich hießen sie „Zazous“ und in der Tschechoslowakei waren sie die „Potapki“ („Haubentaucher“), weil ihre charakteristischen Tanzbewegungen dem Gebaren der gleichnamigen Vogelart glichen.
Die Abneigung gegen den Jazz ist so alt wie der Jazz selbst. Mit dieser Feststellung wird ein eigenes Kapitel eingeleitet, denn die Wurzeln dieser Antipathie stecken schon in der Zeit am Ende des Ersten Weltkrieges. Daran knüpften die Nazis an und meinten mit Swing den Tanz-Stil, gegen den sie das berüchtigte Schild „Swing tanzen verboten“ hervorbrachten. Dieser anstelle von „Jazz“ verwendete Begriff ließ sich besser mit oft frei erfundener sexueller Ausschweifung assoziieren. Viele Menschen waren von der neuen Mode befremdet, und die Verunglimpfung durch die Nazis fiel deshalb bei konservativen Musik- und Geistesschaffenden auf fruchtbaren Boden. Auch Tanzlehrer hegten Misstrauen gegenüber dem „Shimmy“ oder dem „Onestep“, das dann mit der Behauptung, der Schuhplattler wäre der Ursprung des Steptanzes, entschärft wurde.
Nach zwei Vorworten berichten die jeweils mit einem Zitat eingeleiteten und durch Überschriften unterteilten Kapitel vom Verhältnis der Schlurfs zur Hitlerjugend, dem Swing und der Tanzmusik, der Sexualität und den Geschlechterrollen, den Swings mit Namen späterer Berühmtheiten wie Emil Mangelsdorff, Coco Schumann oder Carlo Bohländer, den Potapki und den Zazous mit Hot Club de France, Django Reinhardt und Dietrich Schulz-Köhn. Ein Kapitel schildert, wie die Machthaber mit Witz überlistet wurden, indem man ihnen originelle deutsche Übersetzungen der Musiktitel unterjubelte. So wurden aus dem Tiger Rag der Schwarze Panther oder die Tigerjagd im Taunus. Die Szene behielt trotz der Gefahr ihren Humor. Von älteren Musikern hört man oft die „Anekdote“, dass Hitler über den Jazz gesagt haben soll: „Es stimmt nicht, dass wir keine Synkopen mögen, wir haben sie nur auf 1 und 3 gelegt“. Dem folgten natürlich gleich darauf die Gegenreaktionen des Regimes. Die 1938 in Düsseldorf veranstalteten Reichsmusiktage mit der Ausstellung Entartete Musik nahmen deshalb auch den Jazz ins Visier.
Zur weiteren Abschreckung wurden dem Jazz unmissverständliche Attribute angehängt: Niggermusik, jüdische Musik, Kultur-Bolschewismus oder Kommunismus (obwohl auch dieser den Jazz attackierte). Damit fungierte der Jazz als Vorwand zur Verfolgung von Regimegegnern. Propagandafilme gegen Jazz schlugen aber ins Gegenteil um und waren willkommenes Informationsmaterial für die Jazzfreunde.
Der faktenreiche Text dringt tief in die Thematik vor. So erfährt man auch etwas über die skurrile Bewertung des Saxophons, das vom verpönten Instrument zum „neuen Typus der Fliegermusik“ befördert wurde. Im letzten Teil des Buches wird über die Schicksale von Menschen berichtet, die Widerstand leisteten. Hier zeigen die Autoren auf die Nachkriegszeit mit den nicht aufgearbeiteten Folgen und den Parallelen zur heutigen Intoleranz. Dabei werden Karrieren der wichtiger Protagonisten beider Seiten dargestellt. Das Glossar, ein Personenregister und die sehr wertvolle kommentierte Auswahlbibliographie machen das Buch perfekt.
Die Diskriminierung des Jazz im Nationalsozialismus ist nicht der einzige unrühmliche Teil seiner Geschichte. Nach dem Kriegsende geriet er erneut in das Spannungsfeld von Diktaturen und wurde in Osteuropa während des Kalten Krieges ideologisch als „amerikanisch-imperialistisch“ diffamiert, trug aber auch dort später reiche Früchte.

Stefan Domes
Freital-Pesterwitz, 05.03.2012

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