Martin Lücke: „Ja, der Kurfürstendamm kann erzählen“. Unterhaltungsmusik in Berlin in Zeiten des Kalten Krieges

KurfürstendammLücke, Martin: „Ja, der Kurfürstendamm kann erzählen“. Unterhaltungsmusik in Berlin in Zeiten des Kalten Krieges. – Berlin: B & S Siebenhaar, 2009. – 192 S.: zahlr. s/w-Abb., 1 Audio-CD
ISBN 978-3-936962-46-8 : € 24,80 (geb.)
Hans Carste, einer der vielseitigsten Dirigenten und Komponisten der leichteren Muse, wäre im September 2009 hundert Jahre alt geworden. Historiographisch allemal eine Publikation wert, nominell indes heute eher noch Insidern und Nostalgikern ein Begriff, motivierte sein Jubiläum den rührigen Schlagerspezialisten Martin Lücke, Carstes Vita in den Kontext eines genregeschichtlich eminenten, bis dato gleichwohl unzulänglich beackerten Felds der Popularkunst zu stellen: der Unterhaltungsmusik Berlins in der Ära des Kalten Krieges.
Aus einer Unzahl nennenswerter Aspekte könne, so Lücke, nur eine Auswahl an Schlaglichtern behandelt und als Ausgangsbasis für weitere Spurensuche zur Disposition gestellt werden. Umgekehrt aber gelingt Lücke auf bestem fachjournalistisch-
populärwissenschaftlichem Level ein runder, texttypologisch abwechslungsreich komponierter Baedeker durch die Gefilde des synchron und diachron stoßkräftigen Berliner Entertainments. Mit sinnfällig platzierten Zitaten aus dem spärlich bestückten Fundus an Presse-, Literatur- und anderen dokumentarischen Quellen bereichert Lücke allein den einleitenden Schnelldurchgang durch jene Zeiten, die Berlin auf lange Sicht gleichrangig neben anderen Weltmetropolen sahen.
Ins unmittelbare Blickfeld rücken sodann die Jahre ab Stunde Null, als sich neben politischer und wirtschaftlicher Konsolidierung vehement auch die (Sehn)sucht nach Kultur und Zerstreuung Bahn brach. Grosso modo skizziert Lücke die tragenden zeitgeschichtlichen Entwicklungen und Nachkriegsszenarien, schließt von dort aus dann dezidierter auf die kulturpolitischen Richtvorgaben der vier Westmächte, dank derer Berlin maßgeblich im richtungweisenden Rundfunkbetrieb einen Spitzenplatz unter den Unterhaltungszentren zurückeroberte. Was für das heimische Publikum und die Schaffenden in Kabarett-, Schlager- oder Theaterszene auf die Zäsur des Mauerbaus folgte, markiert, in Wechselwirkung mit internationalen Strömungen, nur noch einen Epilog mit Ausblick auf einen neuen Boom nach der Wiedervereinigung.
Trotz großbogigen Panoramablicks wartet Lücke mit vielerlei Substanziellem, sei es biographisch, handwerklich oder auch anekdotisch, auf, widmet seine Schlaglichtparade primär jedoch den Rampenstars vom Kaliber Werner Müller, Bully Buhlan, Conny Froboess, lässt demgegenüber Rundfunk-Eminenzen der gehobenen Unterhaltungsmusik wie Fried Walter sowie den Ostteil eher verhalten zu Wort kommen. Auch die exkursartig implantierte Carste-Biographie mit dem Reizthema Tagesschau-Fanfare tendiert zur Enklave.
In jedem Fall wünscht man Lückes neuem Mix aus einschlägigem Who’s who und Kompendium viele, zumal produktive, Rezipienten – diesen zuvor eine korrigierte Auflage plus Interpretenangabe zur anliegenden Carste-CD.

Andreas Vollberg
Zurerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 67f.

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