Rudolph Angermüller: Mozarts Reisen in Europa

Angermüller, Rudolph: Mozarts Reisen in Europa 1762–1791. – Bad Honnef: Bock, c 2004. – 296 S. : zahlr. Abb.
ISBN 3- 870 -66913-6 : 44,50 € (geb.)

Von den 35 Jahren seines Lebens war Mozart rund 10 Jahre auf Reisen. „Ohne reisen … ist man wohl ein armseeliges Geschöpf“, schrieb der Zweiundzwanzigjährige aus Paris an seinen Vater Leopold, denn „ein Mensch von mittelmässigen Talent bleibt immer mittelmässig, er mag reisen oder nicht – aber ein Mensch von superieuren Talent, welches ich mir selbst, ohne gottlos zu seyn, nicht absprechen kann, wird – schlecht, wenn er immer in den nemlichen ort bleibt“ (Brief 11.09.1778). Reisen im 18. Jahrhundert diente nicht in erster Linie dem Vergnügen, sondern der Weiterbildung, dem Erfahrungsaustausch und dem beruflichen Fortkommen Insgesamt bereiste Mozart zehn Länder des heutigen Europa: Belgien, Deutschland, England, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, die Schweiz, Slowakei und Tschechien. In der Heimatstadt Salzburg lästerte man bereits über „diese Mozartische Familie“, dass sie „in bälde gar das ganze Scandinavien, und das ganze Russland, und vielleicht gar in das China reisen, welches noch eine weit größere Reise, und höheres Unternehmen wäre“ (Beda Hübner, Diarium 29.11.1766). Dabei war Reisen damals alles andere als angenehm. Für die Entfernung Salzburg – München brauchte man zwei Tage, heute fährt der Intercity die Strecke in 90 Minuten. Die Straßen waren oft schlecht, die meist ungefederten Kutschen blieben im Morast stecken, Wagenräder brachen oder man lief Gefahr, von Wegelagerern ausgeplündert zu werden. Der Reisende war froh, wenn er heil am Zielort ankam. „Glücklich und vergnügt war meine Ankunft! – glücklich, weil uns auf der Reise nichts widriges zugestossen, und vergnügt, weil wir kaum den Augenblick, an ort und Ende zu kommen, erwarten konnten“ berichtet Mozart am 8. November 1780 seinem Vater, „denn – ich versichere Sie, daß keinem von uns möglich war nur eine Minute die Nacht durch zu schlaffen dieser Wagen stößt einem doch die Seele heraus! – und die Sitze! – hart wie stein! – von Wasserburg aus glaubte ich in der that meinen Hintern nicht ganz nach München bringen zu können! Er war ganz schwierig [schwielig] – und vermutlich feuer Roth – zwey ganze Posten fuhr ich die Hände auf dem Polster gestützt, und den Hintern in lüften haltend“.
Mehr als 200 Orte hat Mozart auf diese beschwerliche Weise gesehen. Diese Städte und Gemeinden hat Rudolph Angermüller, der langjährige Generalsekretär der Internationalen Stiftung Mozarteum, in dem vorliegenden Band nach Ländern zusammengestellt. Unter dem jeweiligen Ortsnamen erfährt man Interessantes über den bau- und kulturgeschichtlichen Hintergrund, wie oft und wie lange die Mozarts diesen Ort besuchten, in welchen Gasthäusern und Wohnungen sie unterkamen, was sie unternahmen und welche Leute sie trafen oder getroffen haben könnten. Vergnüglich zu lesen sind die Eindrücke, die Vater Leopold den Salzburger Freunden von der Londonreise übermittelt, die auf der Hinfahrt über München, Augsburg, Ulm, Ludwigsburg, Mannheim, Mainz, Köln, Aachen, Brüssel und Paris führte. So ist z.B. Ulm für ihn „ein abscheulicher altvätterischer, und so abgeschmackt gebauter ort“. Über Koblenz notiert er: „Die Gebäude sind wie in allen diesen Gegenden meistentheils alt, die Kirchen schmutzig und überhaupt sind die Strassen, und alles was in das Auge fällt nicht sauber gehalten.“ In Köln, „der Alten, nicht sehr bewohnten traurigen und erstaunlich grossen Statt“ hatten die Mozarts zwei Tage nicht nur Gelegenheit, den Domschatz zu besichtigen, sondern ärgerten sich auch über den Kustos: er „kam betruncken aus der Vesper, uns den Schatz zu zeigen etc. und das heist man: auf gut Cöllnisch gelebt.“ Überhaupt schien ihnen das Innere des berühmten Doms einem Pferdestall ähnlicher denn dem „Tempel des Herrn“. Hinter Lüttich landeten sie wegen einer Reifenpanne gar in einem „Wirthshause wo nur fuhrleute füttern.“ Leopold berichtet: wir saßen „auf Holländisch auf ströhenen Sesseln zum Caminfeuer, wo ein kessel an einer langen Kette hieng, in welchem fleisch, Rüben etc. und allerhand beysammen en compagnie sieden muste. Da bekamen wir ein klein elendes Tischchen hin, und aus dem großen Kessel wurde uns Suppe und fleisch angerichtet, und eine Bouttellie Rother Champagner gereichet, dabey aber kein Wort Teutsch, sondern pur Wallonisch, das ist, schlecht französisch gesprochen. Die Thüre war beständig offen, darum hatten wir sehr oft die Ehre, daß uns die Schweine einen Besuch abstatteten und um uns herum gruntzten.“ Nicht viel besser erging es Wolfgang und Leopold auf den Italienreisen. Die Begeisterung über die vielen Sehenswürdigkeiten und das Schwelgen in leiblichen Genüssen wurde doch erheblich getrübt „wegen der unglaub: menge des ungezifers der flöhe und wanzen, die auch einen ganz ermüdeten Cörper nicht schlaffen lassen.“ (Brief Leopolds 21.07.1770)
Das Buch lädt also durchaus zum Schmökern ein. Weil es aber zugleich auch den Eindruck eines umfassenden Kompendiums vermittelt, empfindet man nicht erwähnte prägnante Briefstellen und Reiseerlebnisse als umso ärgerlicher. So hätte man sich z.B. unter dem Ort „Ludwigsburg“ Leopolds drastische Schilderung des dortigen Militarismus gewünscht: „Wenn Sie ausspeyen, so speyen Sie einem officier in die tasche oder einem Soldaten in die Patron-tasche. Sie hören ohne unterlass auf der Gasse nichts als: Halt! Marche! schwenkt euch! etc. etc. Sie sehen nichts als Waffen, trommeln und Kriegsgeräthe … 12 bis 15.000 Soldaten, die täglich ganz unglaublich nett gebuzt einhergehen, ja wegen der von der feinesten Leinwand gemacht haargleichen Stifletten und Hosen kaum gehen können, sind zum Ernste zu wenige und zum Spaß zu kostbar, folglich zu viel“ (Brief Leopolds 11./19.07.1763). Stattdessen bekommt man Nannerls nüchterne Reisenotiz zu lesen: „zu ludwigsburg das Schlosse, den Salon und die wachtbarate“. Bei Rom vermisst man einen Hinweis auf die berühmte Geschichte mit dem „Miserere“ von Gregorio Allegri.
Den neunstimmigen Doppelchor, dessen Abschrift die päpstliche Kapelle verboten hatte, soll der 14jährige Wolfgang nach einer Aufführung in der Sixtinischen Kapelle aus dem Gedächtnis niedergeschrieben haben (Brief Leopolds 14.04.1770). Ohne zwingenden Grund wird auch bei der Aufzählung der lustigen Reisegesellschaft, die im Januar 1787 nach Prag unterwegs ist, ein vierbeiniger Mitreisender unterschlagen: der Hund Gauckerl, den Mozart ausdrücklich erwähnt und sogar – wie sich und die anderen – mit einem Spitznamen belegt hat, nämlich Schamanuzky (Brief 15.01.1787). Das ist zwar nicht unbedingt wichtig, hätte aber dem Stimmungsbild eine amüsante Note verliehen.
Vollends unverständlich jedoch ist, dass Angermüller mit keinem Wort auf ein mögliches Zusammentreffen Mozarts mit Casanova in Prag eingeht. Selbst wenn es für ein solche Begegnung keine Beweise gibt, ist die Wahrscheinlichkeit doch sehr hoch. Casanovas Anwesenheit in Prag am 25. Oktober 1787, also vier Tage vor der Uraufführung des „Don Giovanni“, ist belegt. Außerdem hat sich der Chevalier nachweislich mit dem Libretto Da Pontes beschäftigt. Überhaupt ist Prag, das man mit Recht als eigentliche „Mozart-Stadt“ bezeichnen könnte, weil der Komponist hier bereits zu Lebzeiten anerkannt und verehrt wurde, mit insgesamt 6 Spalten recht kümmerlich bedacht im Vergleich zu Paris mit 21 oder London mit 20 Spalten. Auszüge aus den damaligen Prager Tageszeitungen über die umjubelte Uraufführung des „Don Giovanni“ hätte man an dieser Stelle auf jeden Fall erwartet.
Solche Auslassungen schmälern insgesamt etwas die Freude an dem ansonsten ansprechend und übersichtlich gestalteten Band. Gut ausgewählte Fotos am Anfang eines jeden Kapitels machen die Reisen durch die Länder auch visuell nachvollziehbar. Ausführliche Literaturangaben bieten zudem die Möglichkeit, mehr über Mozarts jeweiligen Aufenthalt in Erfahrung zu bringen. Sogar die Adressen und Telefonnummern der Touristenbüros fehlen nicht. Jedem Mozart-Liebhaber, der sich auf die Spuren des Komponisten begeben möchte, sei das Buch daher sehr empfohlen.

Verena Funtenberger
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 26 (2005), S. 237ff.

 

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