Karl Lippegaus: John Coltrane. Biografie [Rebecca Berg]

Lippegaus, Karl: John Coltrane. Biografie. – Hamburg: Edel, 2011 – 317 S.: s/w-Abb.
ISBN 978-3-8419-0069-2 : € 29,90 (geb.)

Ein Mann, ein Saxofon. John Coltrane (1926-1967) widmete sein Leben voll und ganz der Musik und wurde damit zum Vorbild für Generationen von Saxofonisten.
Vier Jahre hat der Musikwissenschaftler und -journalist Karl Lippegaus intensiv für die Biografie des Jazzmusikers recherchiert. Das Resultat: Ein prosaisches Portrait, das aus 44 kurzen Kapiteln sowie teilweise kaum bekannten Fotos besteht und in einem lesefreundlichen Layout mit braungoldenen Trennseiten daherkommt. Eingebettet in den soziohistorischen Kontext zeichnet Lippegaus in drei Perioden die Entwicklung vom Klarinette spielenden „shy guy“ aus Philadelphia zum erfolgreichen Tenorsaxophonisten nach, der 10 Jahre das Geschehen im Jazz dominierte. Zahlreiche Zitate, in denen nicht nur Zeitzeugen, sondern auch die Lebensweisheiten eines Henri Matisse oder Florencio Cortázar ihren Platz finden, vervollständigen das umfangreiche Musiker-Mosaik. Zudem ist das Buch mit amüsanten Anekdoten gespickt.
Prägend ist für John Coltrane, genannt „Trane“, die Begegnung mit Miles Davis 1956, in dessen Quintett er spielt und seinen verhältnismäßig späten Durchbruch erlebt. Miles lehrt ihn die Kniffe, die ihn später zur „Impro-Ikone“ des Modal-Jazz’ werden lassen. Noch heute ist Tranes’ rasantes Giant Steps eines der Stücke, an dem kaum ein improvisierender Jazzmusiker vorbeikommt. Doch um so weit zu kommen, übt Coltrane manisch und vernachlässigt dafür sogar sein Privatleben. Nachdem er die Drogensucht überwunden hat, wird heißes Wasser zu seinem Lieblingsgetränk, sein Instrument zum Lebensmittelpunkt. Neben der Heirat mit Juanita Austin 1955 – der er das Stück Naima widmet – oder seiner zweiten Frau und Pianistin Alice Coltrane, die zum Schluss hin rege zitiert wird, kommen in der Biografie kaum private Ereignisse vor. Und zwar, weil es kaum welche gibt. Statt dessen beschreibt der Autor akribisch die spontanen Aufnahmesessions bei diversen Plattenfirmen und die originellen Zusammentreffen mit Musikern, wie z. B. dem Saxofonisten Sonny Rollins, mit dem er sich in einen brüderlichen kreativen Kampf stürzt, oder dem avantgardistischen Pianisten Thelonius Monk.
Mit My Favourite Things entdeckt Coltrane 1960 das Sopransaxofon neu für den Jazz, der Wunsch nach neuen Ausdrucksformen entsteht. 1964 erscheint schließlich die legendäre Suite A Love Supreme: ein musikalisches Glaubensbekenntnis. In der dritten und letzten Schaffensperiode kommt die spirituelle Seite des Saxofonisten zum Zug: „Ich denke, Musik kann die Welt verbessern helfen, und falls ich dazu befähigt bin, will ich es tun“ (S. 221). Seine unentwegte Suche nach neuen Sounds bekräftigt dieses Statement musikalisch. Und das, obwohl viele seiner Fans sich von diesem „neuen“ experimentellen Trane abkehren. Zum letzten Triumphzug wird daher unerwartet die Japantournee 1966, zu der er umjubelt empfangen wird. John Coltrane stirbt am 17. Juli 1967, zwei Monate vor seinem 41. Geburtstag, und hinterlässt ein rätselhaftes, widersprüchliches und gleichwohl faszinierendes Spätwerk.

Rebecca Berg
Frankfurt, 07.11.2011

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