Eva Weissweiler: Otto Klemperer. Ein deutsch-jüdisches Künstlerleben

Weissweiler, Eva: Otto Klemperer. Ein deutsch-jüdisches Künstlerleben. – Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2010. – 320 S.: Abb.
ISBN 978-3-462-04179-8 : € 22,95 (geb.)

Eine unangenehm schillernde Figur, dieser Klemperer! Otto Klemperer (1885–1973) war: Vetter des inzwischen ebenso berühmten Romanisten Victor Klemperer, den man früher immer fragte, ob er denn mit dem berühmten Dirigenten verwandt sei, dann: „Deutschnationaler Katholik“ – so eine Selbstaussage aus dem Jahr 1933, nachdem er kurz zuvor aus der Hand des Reichspräsidenten Hindenburg die Goethe-Medaille für die Pflege der deutschen Kultur in Empfang genommen hatte, und: „Jüdischer Kulturbolschewist“ – so die Hetzpropaganda der Nazis. Er führte ein Heldenleben, wie Jean Améry meinte (ein anderes als das des häuslichen Filzpantoffel-Heroen Richard Strauss, mit dem ihn trotzdem viel Ähnliches verbindet) und er dirigierte Straussens Tod und Verklärung derart, dass sein Freund Ernst Bloch ihm schrieb: „Strauss erlangte das Unwahrscheinlichste: Tiefe. Danke, ich drücke Deine Hand. Möchte die Verklärung unser werden“ (S. 265).
Und was macht Eva Weissweiler aus diesem Leben? Sie destruiert die Heldenlegenden und lässt ihm keine Verklärung angedeihen. Das ist das unerhört sympathische an dieser Biografie eines Tyrannen, dem kein Skandal überflüssig schien, um seine zwischen „Neuer Sachlichkeit“ und „Neuer Romantik“ changierenden Aufführungen katholisch (eigene Messe), deutschnational (Pfitzner), neoklassisch (Busoni, Hindemith und Strawinskij) und avantgardistisch (Schönberg) inspirierter Werke in Szene zu setzen. Er war sich auch nicht dafür zu schade, in Rom in den 20er Jahren vor einer Aufführung des Wagnerschen Siegfried mal schnell die Faschistenhymne schmettern zu lassen und war vom „Duce“ (und insgeheim vom „Führer“) fasziniert – ein durch sein Judentum verhinderter Faschist oder Musiker aus dem Geiste eine Furtwängler? Ein bißchen auch das, aber eben auch ein verständiger Förderer der Moderne, der jedoch die von ihm geleitete Berliner Kroll-Oper ins Abseits manövrierte, weil er sich nicht zwischen dem traditionellen Repertoire und einem neuen Operntypus entscheiden konnte. Er dirigierte dort (übrigens auf Anraten von Richard Strauss) Wagners Der Fliegende Holländer in der noch unversüssten Urfassung von 1844 und in modernem Bühnenbild – das nahmen ihm die Gralshüter echter deutscher Kunst noch übler als die deutsche Erstaufführung der Bauernoper Jenufa des „kulturlosen slawischen“ Komponisten Janáček 1918 in Köln.
Emigranten-Ruhm in Los Angeles, Skandale und Zusammenbrüche, Wiederauferstehung in London und von Zürich aus in ganz Europa nach dem Krieg, rekonvertiert zum Judentum, vergeistigt und zusammengeschnurrt auf ein Repertoire von Bach bis Mahler, tyrannisch wie eh und je – ein Held seiner Zeit, der Epoche der orchestralen Symphonisierung von Oper und Konzert. Alles über ihn, das Erbauliche und das Peinliche, findet man bei Weissweiler, die – so wie Klemperer selber – nie ein Blatt vor den Mund nimmt.

Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 358

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