Die Dame mit dem Cembalo. Wanda Landowska und die Alte Musik / Hrsg. von Martin Elste

Die Dame mit dem Cembalo. Wanda Landowska und die Alte Musik / Hrsg. von Martin Elste. – Mainz: Schott, 2010. – 240 S.: zahlr. Abb.
ISBN 978-3-7959-0710-1 : € 39,95 (geb.)

Dieser aus zeitgenössischen Texten und Bildern bestehende Prachtband sollte in keiner Musikbibliothek fehlen und ist als Geschenk für Liebhaber besonders gut geeignet, gibt er doch einen authentischen Eindruck vom aufwändig inszenierten Leben und Wirken dieser Künstlerin im 20. Jahrhundert. Das betextete Bilderbuch gibt vor allem auch Auskunft über die Faszination, die von dieser Tastenvirtuosin (1879–1959) ausging und weiter ausgeht und ist dazu angetan, den Landowska-Kult einzufangen und zu verlängern. Man staunt über die Fülle des öffentlichen und privaten Materials, das hier ausgebreitet werden kann. Dank der schon damals von der Landowska selber organisierten Photomania gibt es unzählige Bildzeugnisse von ihr nach dem Motto: „Nie ohne mein Cembalo“. Ob sie allerdings jemals auf einem echt historischen, restaurierten oder nach historischer Bauweise nachgebauten Cembalo gespielt hat, was von den heutigen Spielern alter Musik zu einer Grundbedingung eines angemessenen Musizieren nach der Ästhetik der Entstehungszeit der jeweiligen Musik angesehen wird, ist ungewiss. Sie bevorzugte Pleyel-Fabrikate, also Cembali des 20. Jahrhunderts, die nach dem Vorbild des modernen Pianofortes nur einen blassen, dafür aber mit umso mehr Fuß aufgemotzten Abklatsch alter Musik vermitteln konnten und heute schon wieder als historisch angesehen werden dürfen. Es sind tatsächlich moderne Klaviere mit Springermechanik, und darum kommt es einem ganz sonderbar vor, dass Landowska selbst der Meinung war, mit ihren weihevollen und technisch hochgezüchteten Darbietungen könne sie etwas von dem Geist alter Musik adäquat hervorbringen. Auch über andere Details wie Besaitung, Stimmung und Spielweise kann man in diesem repräsentativ aufgemachten Kultbuch wenig erfahren.
Zwar werden in Auszügen Zeugnisse von ihr selbst und ihren Zeitgenoss(inn)en, kleine Verteidigungsschriften gegen die Verniedlichung der alten Musik vor Bach, abgedruckt, aber diese machen auch deutlich, dass man erst am Anfang eines langen Weges stand, der nur allmählich das Verständnis der Musik früherer Jahrhunderte von den Missverständnissen der klassisch-romantischen Periode befreien konnte. Landowska kämpfte einfach darum, das industrialisierte Cembalo und die Barockmusik in einem modernen Klanggewand erfolgreich mit dem Konzertflügel konkurrieren zu lassen. Das wird man erst recht beurteilen können, wenn Landowskas Hauptschrift über die alte Musik einmal in einer deutschen Übersetzung erschienen sein sollte. Bis dahin gibt dieser von Martin Elste gewissenhaft betreute Band die besten schrift- und bildlichen Auskünfte über die bis heute bestehende Aura der Landowska, mit der sie für ihre Zeitgenossen umhüllt war. Das letzte Zeugnis ist ein Nachruf des jungen Ivan Nagel, den er meinte, 50 Jahre danach noch einmal überarbeiten zu müssen. Eine umfangreiche Diskografie ihrer Einspielungen ist hier ebenfalls in Wort und Bild dokumentiert. Auch das Verbrechen der Nazis, Landowskas Instrumente und Bibliothek geraubt zu haben, wird hier wenigstens einmal erwähnt und dokumentiert. Der Gesamteindruck: Viele zu schöne Antworten auf ungestellt bleibende Fragen.

Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 357

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Landowska, Wanda (1879-1959), Rezension abgelegt und mit , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.