Klaus Martin Kopitz: Der Düsseldorfer Komponist Norbert Burgmüller. Ein Leben zwischen Beethoven-Spohr-Mendelssohn; Norbert Burgmüller. Ouvertüre op. 5. Vier Entr’actes op. 17. Partitur

Kopitz, Klaus Martin: Der Düsseldorfer Komponist Norbert Burgmüller. Ein Leben zwischen Beethoven-Spohr-Mendelssohn. – Kleve: Boss, 1998 (zu beziehen über Dohr). –384 S.: zahlr. s/w- u. Farb-Abb., Notenbsp.
ISBN 978-3-936655-34-6 : € 24,80 (geb.)
Norbert Burgmüller. Ouvertüre op. 5. Vier Entr’actes op. 17. Partitur / Hrsg. von Klaus Martin Kopitz – Köln: Dohr, 2010 – 176 S.: Noten (Denkmäler rheinischer Musik ; 38)
ISMN M-2020-2156-9 : € 108,00 (geb.)

Im Gedenkjahr seines nunmehr vollendeten zweiten Centenniums konnte Norbert Burgmüller (1810–1836) zu Ehren – noch ein Jubelkandidat also im Bunde mit Schumann, Chopin oder Nicolai! –, eine wissenschaftlichen Werkausgabe ihr Ende erreichen. Mit obigem Titel ist sie jetzt komplettiert. Man muss angesichts der erst späten editorischen Würdigung sagen: endlich eine solche Edition überhaupt! Erstens ist das Gesamtwerk überschaubar, obgleich Burgmüllers Schaffenskraft fruchtbar, zweitens spielte sich sein Werdegang inmitten der blühenden Düsseldorfer und mitteldeutschen Musikwelt ab, zwischen Schumann und Mendelssohn. Allzu lange war der Komponist unrechtmäßig vergessen, stand sein Nachruhm doch vermutlich im Schatten seines Bruders, des Pianisten Friedrich Burgmüller (1806–1874), der ihn auch physisch weit überlebt hat und dessen Klavieretüden vielen Eleven (noch) vertraut sein dürften. Zu verdanken haben wir die verdienstvolle initiative Großtat einer Gesamtausgabe des kompositorischen OEuvres dem Kölner Verlag Dohr (gegründet 1990), der – nebenbei bemerkt – gegenwärtig selber ein kleines Jubiläum begeht. Zu einem Editionsprojekt über mehr als acht Jahre hinweg gehört schon auch eine gehörige Portion Mut angesichts des bisherigen „Bekanntheitsgrads“ der Werke, zumal zu bedenken ist, dass zur Drucklegung sieben Einzelbände – im Umfang zwischen 70 und 270 Seiten – für das sinfonische Werkkorpus (z.B. das Klavierkonzert von 1828/29 oder die beiden Sinfonien) sowie die vier Streichquartette im Rahmen der Reihe Denkmäler rheinischer Musik (Nr. 23, 30–32, 36–38; ohne eigene Gesamtausgaben-Bandzählung) sowie mehrere Einzelausgaben mit Kammermusik für kleine Besetzungen nötig waren; allesamt sind sie herausgegeben unter der treibenden Kraft von Klaus Martin Kopitz, dem man nach seinem unübertroffenen Standardwerk einer Burgmüller-Biographie von 1998 und der langjährigen mühsamen kritischen Werkedition größten Respekt zollen muss. Den Interessenten nahegelegt werden auch neuere Studien zum Thema, zusammengeführt in dem Band Nota Bene Norbert Burgmüller (2009) oder die Begleitpublikation zur Ausstellung in Düsseldorf Ich glaubte nur an Musik (2010). Stimmen- und Aufführungsmaterial ist ebenso beim Verlag vorhanden.
Bei den Werkausgaben handelt es sich um in der Tat praktische Drucke auf alterungsbeständigem Papier im üblichen Quartformat. Knapp, aber hinreichend gehaltene Vorworte, Quellenbeschreibungen und Editionsberichte machen Lust, in medias res zusteigen und die Noten bei eingelegter CD (etwa die Neuinterpretation der beiden Sinfonien vom Label Carus) oder am Instrument nachzuvollziehen; der geschickte Zeilenumbruch und die für Augen angenehme Größe der Notentextur tragen das Ihre dazu bei, sich je nach FaÇon ins Musikgeschehen zu vertiefen. Überraschend das geringe Gewicht.
Haftete Spohrs Musik bereits die Eigenschaft an, stilistisch zwischen den Stühlen zu sitzen, so ist das nun bei dem Spohr-Schüler Burgmüller noch eindringlicher zu spüren und mag sich auf die bislang dürftige Rezeption ausgewirkt haben. Bereits die Eltern Burgmüllers waren beruflich im Musikleben fest etabliert und gar in die Biographie Beethovens verwoben, dessen musikalische Eigenart sich vor allem in den frühen Werkendes so jung verstorbenen Genies niederschlug. Späteres weist weit in die Zukunft.
Zu Lebzeiten wurde Burgmüller von den Altersgenossen und Fachkollegen sehr geschätzt. Kein Minderer als Schumann, der Brahms-Entdecker, war es, der Burgmüllers Kunstfertigkeit früh erkannte und viele Jahre nach dessen Tod (1851) seine zweite Sinfonie nach den Skizzen fertigstellte. Und so schließt sich ein Kreis, der die Bedeutung der Edition herausheben helfen soll, und endet mit der Hoffnung, dass nun zukünftig für ein paar Bibliotheksnutzer (mehr) eine Behauptung Schumanns, der Burgmüller als einen vom Range Franz Schuberts erkannt zu haben glaubte, am„Original“ überprüfbar werden kann.
Aus dem biographischen Nonplusultra von Kopitz, seiner Dissertation, mit vielen unbekannten Details zu Leben und Werk des Düsseldorfer Meisters ist auch zu erfahren, in welchem Verhältnis die Familie Burgmüller zu Beethoven und Mendelssohn stand. Der Band ist zwar schon etwas älter, aber nach wie vor im Handel erhältlich, mittlerweile zu beziehen über den Verlag Dohr. Das Buch liest sich erstaunlich und erfreulich flüssig. Bereits die Überschriften lassen eine spannende Lebensgeschichte erwarten: im Grunde chronologisch aufgebaut, wechseln lebendige Werkanalysen mit Fakten und Anekdoten, die durchweg auf Quellenbefund fußen. Der erste Eindruckeiner mit kriminalistischem Spürsinn recherchierten Lebens- und Lebenswerkbeschreibung wird nicht enttäuscht. Sämtliche Anmerkungen sind ans Ende verlagert; hinzu gesellen sich Verzeichnisse der Quellen und Literatur, der Werke Burgmüllers sowie eine Diskographie, wobei die letztere damals noch recht dürftig ausfallen musste und hauptsächlich Aufnahmen ab Mitte der 1980-er Jahre enthält (S. 331).
Essenz: Es lohnt sich, sich eingehender mit der Qualität der Musik und den Lebensumständen Norbert Burgmüllers zu befassen. Das größere Zielpublikum muss sich wohl erst noch finden; wer jedoch gerne Beethoven-, Schumann- oder Mendelssohnsche Züge im Notenmaterial ausmachen mag, oder gar die Vorwegnahme Brahmsscher Techniken, der wird so schnell die Studienvorlagen – Noten, Analysen und Biographie – nicht aus den Händen legen.

Manfred Sailer
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2010), S. 262ff.

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