Laëtitia Devernay: Applaus [Sebastian Kaindl]

Devernay, Laëtitia: Applaus – München: Mixtvision-Verlag, 2011. – 132 S. : Ill. farbig ohne Text.
ISBN: 978-3-939435-42-6 : € 19,90 (Leporello; 9 Meter)
(Titel der franz. Originalausgabe: Diapason)

Wohnt ein Lied in allen Dingen, ein Lied ohne Worte, hier ein Buch ohne Text. Das Buch hat ein ungewöhnliches Format, mit 14,5 x 33 cm sehr hoch und im Verhältnis schmal. Wie eine vielstimmige Partitur, und es laden auch sehr vegetative Notenlinien ein, aufzuklappen, wo sie in die Vertikale gehen und einen phantastischen Laubwald bilden. Aber für das Zauberwort braucht es dann doch einen Dirigenten mit einem Stab. Wird der aktiviert, lösen sich Laub-Vögel aus den Bäumen und es entfaltet sich ein Fliegen und Schwärmen in unendlichen Formen und Formationen. Bis alles Potential verflogen ist und sich für neue Ausflüge erst wieder sammeln muß.
Dieser Bilderreigen ist das Erstlingswerk der französischen Illustratorin. Sie entwickelt ihn in einem langen Leporello, den man auch zur gesamten Länge auseinanderfalten kann um nicht vor sich zu blättern, sondern sich daran entlang zu bewegen – sogar im Kreis, wenn man Anfang mit Ende verbindet. Allerdings bilden die Seitenfalze durchaus harte Abschnitte. Farblich ist die Zeichnung in wenigen Tönen gehalten – fast in Schwarz-Weiss. Stilistisch erinnert sie an asiatische Zeichenkunst, aber im Spiel mit Positiv-Negativ-Formen und deren Metamorphosen auch an M.C. Escher. Wer mit Musik im formalen Sinn vertraut ist, kann in den poetischen Flug-Bildern vorzüglich alles suchen und finden, was Musik ausmacht – Melodie, Rhythmus, Kompositionsstrukturen und auch, was nicht in Worte paßt. Ein Kinderbuch ist es nicht unbedingt. Und natürlich assoziiert man schon anhand der Dirigentenfigur zuerst klassische Orchestermusik, die angeblich solch eine charismatische Persönlichkeit braucht, um zum Klingen gebracht zu werden. Aber man kann seine Gedanken ja auch mitfliegen lassen und die Musik (oder anderes?) z.B. innerhalb der einzelnen Vögel suchen und sich fragen, für was der Dirigent als Symbol stehen könnte.
Der deutsche Titel ist mal wieder seltsam. Zwar verneigt sich der Dirigent zum Ende (vor wem?), aber um Applaus geht es sicher nicht. Warum nicht einfach im Wörterbuch nachsehen? Der Originaltitel heißt so viel wie Stimmton, Stimmgabel, Stimmung eines Instruments (oder Person). Mein Vorschlag wäre: Intonation. Applaus gebührt dem Buch dennoch zweifellos in gesamter Länge samt Einband. In seiner konsequenten Konzentration auf die Zeichnung mit nur minimalster Beschreibung auf dem Cover ist es eine mutige Edition. Man ahnt von außen kaum, was im Buch zu erwarten ist. Ich ermutige gerne zum Kauf.

Sebastian Kaindl
Berlin, 30.08.2011

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