Stefan Aufenanger: Die Oper während der französischen Revulotion. Studien zur Gattungs- und Sozialgeschichte der Französischen Oper

Aufenanger, Stefan: Die Oper während der Französischen Revolution. Studien zur Gattungs- und Sozialgeschichte der Französischen Oper. – Tutzing: Schneider, 2005. – 538 S.: einige Notenbsp. (Frankfurter Beiträge zur Musikwissenschaft ; 31)
ISBN 3-7952-1176-X : € 75,00 (geb.)

Sogar in der Musikgeschichte hat die Französische Revolution ihre blutigen Spuren hinterlassen: So starben z.B. der Komponist und Pianist Johann Friedrich Edelmann (1794) und andere, heute kaum mehr namhaft zu machende Musiker unter dem Fallbeil. Neben dieser mörderischen Begleiterscheinung hatten die politischen Umwälzungen ihre Auswirkungen außerdem auf alle Bereiche der Kultur – also auch auf die Musik; zwangsläufig war die Oper als deren repräsentativste Ausprägung besonders stark vom Zeitgeist betroffen, und so verspricht eine Studie zu diesem Thema eine spannende Lektüre zu sein.
Zunächst geht Aufenanger aber auf die Entwicklung der Oper in Frankreich seit ungefähr 1750 ein, und diese Vorgeschichte ist deshalb wichtig, weil sich das Musiktheater 1789 natürlich nicht augenblicklich veränderte, sondern während einer Übergangszeit das „Alte“ sogar noch dominierte und erst allmählich dem „Neuen“, das in formaler Hinsicht aber oft nur „alter Wein in neuen Schläuchen“ war, einen größeren Platz einräumen musste. Zudem konnte die „opéra comique“ auf eine längere sozialkritische Tradition zurückblicken, so dass man hier im Grunde die Entwicklung fortschreiben konnte. Neu waren jedoch die martialischen Hymnen, die jedes der unzähligen revolutionären Feste mit akustischem Pomp begleiteten, weshalb Grétry 1797 verzweifelt feststellte: „Es scheint, als dürfe man seit dem Sturm auf die Bastille in Frankreich nur noch Musik mit Kanonenschüssen machen.“
Neben dem umfassenden Kapitel über die „Entwicklung der Oper während der Französischen Revolution“, in dem verschiedene Aspekte grundlegend erörtert werden (z. B. die ideologische Funktionalisierung der Oper, die Rolle der „Rettungsoper“, die Bedeutung antiker Themen oder antiklerikale Bestrebungen), zeichnet Aufenanger in einer siebenteiligen Kapitelfolge die Entwicklungsetappen der Jahre zwischen 1789 und 1795 nach. Anhand unzähliger zeitgenössischer Quellen (fast immer aus damaligen Zeitungen oder von Zeitzeugen stammend) ist eine beeindruckende Dokumentensammlung entstanden. Alle Passagen sind originalsprachlich (d. h. französisch) und in einem Anhang als Übersetzung wiedergegeben – vielleicht hätte man das Verfahren umdrehen sollen, um so die flüssige Lektüre auch dem lediglich „schulfranzösisch“ gebildeten Leser zu ermöglichen; die Zweisprachigkeit ist aber allemal ein angenehmes Verfahren.
Als konkrete Beispiele „revolutionsbeseelter“ Opern, die inhaltlich (jeweils Wiedergabe des Librettos) und musikalisch (mit Notenbeispielen) vorgestellt werden, hat Aufenanger Grétrys La Rosière républicaine (1793) und Le Siège de Thionville (1794) von Jadin ausgewählt – beide Male mehr oder weniger linientreue Gelegenheitswerke, die dem Zeitgeschmack so sehr entsprachen, dass ihnen nur eine kurze Verfallszeit beschieden war; sie gerieten bald völlig in Vergessenheit.
Da es sich aber um ein besonders im deutschen Sprachraum weitgehend unbekanntes Repertoire handelt, wäre neben dem verdienstvollen und leider längst nicht mehr selbstverständlichen Personenregister ein Verweissystem auf die einzelnen Werke sehr günstig gewesen; so könnte man beispielsweise rasch nach Grétrys 1791 uraufgeführtem Guilleaume Tell suchen, der – mehr als zehn Jahre vor Schillers berühmter Bearbeitung – stoffgeschichtlich speziell für Deutschland von größtem Interesse ist. Ein Verzeichnis der Pariser Erstaufführungen zwischen 1790 und 1794 liegt (wenn auch als pures „Augenpulver“) zwar vor, doch hätte man dies noch besser mit einer allgemeinen Repertoireübersicht verbunden. – Nicht zuletzt angesichts der kenntnisreichen Studie drängt sich eine Frage am Schluss noch auf: Wie ist es möglich, dass ein solcher Wälzer ohne eine einzige Silbentrennung auskommt? Aber vielleicht sind das völlig veraltete Vorstellungen von einer (hoffentlich noch nicht ganz) untergegangenen Buchkultur.

Georg Günther
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 28 (2007), S. 298f.

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