Johannes Kunz: Oscar Peterson. Portrait einer Jazzlegende – Wien: Böhlau, 2024 – 211 S.: 61 s/w-Abb.
ISBN 978-3-205-21959-0 : € 35,00 (geb., auch als eBook)
Die Frage, ob es ein weiteres Buch über den kanadischen Jazzpianisten und Komponisten Oscar Peterson (1925–2007) braucht, ist durchaus berechtigt. Denn über den legendären Musiker, der als einer der technisch raffiniertesten und melodisch innovativsten Pianisten in der Geschichte des Jazz gilt, ist viel publiziert worden, seien es Bücher, Artikel oder Interviews. Nicht zuletzt hat Peterson eine auch in deutscher Sprache vorliegende Autobiographie verfasst.
In diesem Jahr wäre er 100 Jahre alt geworden. Für den österreichischen Publizisten Johannes Kunz, der Peterson persönlich kannte, ein guter Grund für ein sorgfältig recherchiertes Porträt des Ausnahmemusikers, dessen künstlerische Lebensbilanz beeindruckend ist: In seiner mehr als 60-jährigen Karriere hat er 200 eigene Platten veröffentlicht und ist auf etwa 400 weiteren als Begleitmusiker zu hören. Kein anderer Pianist in der Geschichte der Jazzmusik hat mehr Konzerte gegeben und mehr Alben verkauft. Und kein anderer Pianist hat mehr zur Anerkennung des Jazz als Kunstform beigetragen. Hinzu kommen unzählige Ehrungen und Preise, darunter acht Grammys und mehr als ein Dutzend Ehrendoktorate. Für den Jazzpianisten Dave Brubeck war Peterson ein Kollege „außerhalb jeder Kategorie“ (S. 16), und kein Geringerer als Duke Ellington würdigte ihn als „Maharadscha der Tasten“ (S. 18).
Als Johannes Kunz den Jazzpianisten in den 60er Jahren kennenlernte, war dieser bereits ein Star, berühmt für seine technische Brillanz, sein kraftvoll swingendes Klavierspiel, seine Dynamik und melodische Konzeption. Es entwickelte sich eine langjährige Freundschaft, und Kunz ließ die vielen Begegnungen, Gespräche und Interviews, die er nicht nur mit Peterson, sondern auch mit dessen musikalischen Mitstreitern sowie seinem Manager und Freund Norman Granz (1918–2001) führte, in sein fachkundiges, reich bebildertes Buch einfließen. Gemeinsam mit Briefen und Fotos, die die Witwe Petersons dem Autor zur Verfügung stellte, geben sie dem Porträt eine persönliche Note.
Johannes Kunz unterteilt sein Buch in 50 kurze Kapitel mit teils griffigen Überschriften wie „Das Schockerlebnis bei einer Billie-Holiday-Party“. Um der Künstlerpersönlichkeit Petersons gerecht zu werden, wählt er einen breiten Ansatz, der die vielen Mitmusiker seiner Trio- oder Quartettformationen ebenso berücksichtigt wie musikalische Weggefährten, etwa Duke Ellington, Ella Fitzgerald oder Art Tatum und die verschiedenen musikalischen Strömungen des Jazz. Ausführlich widmet sich Kunz auch dem frühen sozialen Umfeld Petersons: seiner Familie, in der Oscar als viertes von fünf Kindern eines Schlafwagenschaffners aufwuchs; seinem Montrealer Stadtviertel, damals eine Hochburg des Jazz, und seinen Musiklehrern, die ihm zunächst eine solide klassische Ausbildung vermittelten.
Das Buch erzählt auch von Wegmarken wie der Begegnung mit dem US-Amerikaner Norman Granz im Jahr 1949. Der damals mächtigste Plattenboss, Konzertveranstalter und Künstlermanager gab den Startschuss für Petersons beispiellose Weltkarriere. Granz, so schreibt Johannes Kunz, „wollte den Jazz „salonfähig“ machen, ihn aus verrauchten Clubs in die eleganten Konzertsäle zunächst Amerikas und später in alle Welt bringen“. (S. 47) Er verpflichtete den 24-jährigen Jazzpianisten für seine erfolgreichen „Jazz At The Philharmonic“-Tourneen, bei denen prominente Musiker verschiedener Stilrichtungen des Jazz auftraten und es am Ende jedes Konzerts eine Jam-Session aller Mitwirkenden gab. Die langen Busfahrten zu den Auftrittsorten empfand Peterson als „Universität auf Rädern“ (S. 58), weil sich die besten Jazzer ihrer Zeit stundenlang austauschen konnten, diskutierten oder, wie Ella Fitzgerald, probten.
Parallel dazu intensivierte Peterson sein Spiel im Trio, das zu seinem bevorzugten Format wurde. Geradezu legendär wurde die Besetzung mit Ray Brown, Bass, sowie dem Drummer Ed Thigpen. Was ihr Zusammenspiel auszeichnete, war eine überbordende künstlerische Interaktion, bei der sie sich die musikalischen Bälle zuwarfen, dass es nur so funkelte und glitzerte. Einem der besten Alben dieses Trios, Night Train aus dem Jahr 1962, widmet der Autor ein eigenes kleines Kapitel. Die letzte Nummer darauf ist eine Eigenkomposition Petersons, die während einer Aufnahmesession entstand. Der lyrische Blues Hymn to Freedom wurde zur Hymne der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, und Peterson spielte ihn fortan in jedem seiner Konzerte. 2022, exakt 60 Jahre nach der Ersteinspielung, wurde der Titel zur Unterstützung der Ukraine neu aufgenommen.
Der ansprechend gestaltete Band von Johannes Kunz wird durch einen ausführlichen Registeranhang mit Kurzbiographie, Diskographie, Begriffserklärung und Bibliographie komplettiert. Zwar hält die Neuerscheinung für Insider wohl nicht viel Neues bereit, doch für diejenigen, die noch nicht viel über Oscar Peterson wissen, bietet das Buch eine vorbildlich aufbereitete Einstiegslektüre.
Friedegard Hürter
Bonn, 14.10.2025