Verstummte Stimmen. Die Vertreibung der “Juden” aus der Oper von 1933 bis 1945 / Eine Ausstellung v. Hannes Heer [u.a.]

Verstummte Stimmen. Die Vertreibung der „Juden“ aus der Oper von 1933 bis 1945 / Eine Ausstellung von Hannes Heer, Jürgen Kesting, Peter Schmidt. – Metropol: Berlin, 2008. – 127 S.: Abb.
ISBN 978-3-938690-98-7 : € 16,00 (kt.)

Verstummte Stimmen. Die Vertreibung der „Juden“ aus der Oper von 1933 bis 1945. Der Kampf um das Württembergische Landestheater Stuttgart / Eine Ausstellung von Hannes Heer, Jürgen Kesting, Peter Schmidt. – Metropol: Berlin, 2008. –128 S.: Abb.
ISBN 978-3-940938-14-5 : € 16,00 (kt.)

Die beiden – bis auf einen regionalen Teil (der im ersten Band befasst sich mit verfolgten Personen der Berliner Krolloper und der Berliner Staatsoper, der im zweiten mit jenen des Württembergischen Landestheaters Stuttgart) – fast identischen Bände oder Kataloge sind als ein stark verspäteter, erster und nicht ganz makelloser Versuch anzusehen, die schändliche Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung jüdischer Künstler, die an diesen drei deutschen Bühnen tätig waren, zu dokumentieren und die bedrängten, in Exil gezwungenen oder getöteten Menschen in Erinnerung zu rufen. Es ist für das Schicksal der deutschen Art von „Aufarbeitung der Vergangenheit“ recht typisch, dass es dafür mehr als 60 Jahre gebraucht hat. In erfreulicher Weise nennen die Bände Namen, und zwar die der Opfer wie auch der Täter. Dies zerstört manch beschönigende Legende über das Verhalten von Nichtjuden an diesen Bühnen und dokumentiert, wie die Vernichtung der rassisch verfolgten Kolleg(inn)en entweder widerstandslos hingenommen oder sogar aus eigenem Antrieb betrieben wurde.
Der überregionale Teil der Wanderausstellung, zuerst im Jahre 2006 in Hamburg gezeigt, dann über Berlin nach Stuttgart gewandert, umrahmt die eigentlich biographische Dokumentation sinnvoll mit Texten und Dokumenten aus der damaligen Zeitgeschichte, die zeigen, wie brutal und gewissenlos die Nazi-Bosse im Verein mit der bildungsbürgerlichen Elite und dem bestellten und organisierten Mob die fruchtbare künstlerische Arbeit jüdischer Musiker an deutschen Bühnen zerstörten. Im Stuttgarter Band ist zusätzlich die zur Eröffnung der Ausstellung in Berlin gehaltene bedeutende Rede von Wolf Lepenies abgedruckt, die nur den einen kleinen Nachteil hat, dass sie zwar die Anmaßung der Nazis entlarvt, entscheiden zu wollen, was Kunst sei, aber den ganzen traditionsreichen Fundus in der deutschen Musikgeschichte für die Überhebung der deutschen Kunst über die anderer Völker nicht erwähnt.
Problematisch sind sowohl der in beiden Bänden enthaltene überregionale Personalteil als auch die lokalen Dokumentationen besonders darin, wie sie gegliedert sind. Unter dem zweifelhaften Aspekt der „Prominenz“ werden 44 Künstler (Sänger, Komponisten, Dirigenten, Instrumentalisten beiderlei Geschlechts), ohne dass in der Reihenfolge und den Auswahlkriterien ein Prinzip erkennbar wäre, auf je einer Seite vorgestellt. Unter diesem Generalnenner stehen dann bedrängte Personen, die im Reich blieben, aber noch relativ lange auftreten durften, obwohl sie sich beispielsweise weigerten, sich von ihren jüdischen Ehepartnern zu trennen, neben emigrierten Stars, die außerhalb Deutschlands eine glückliche Karriere machen konnten, und neben Künstlern, die schließlich deportiert und getötet wurden. Die unterschiedslose Gleichstellung dieser Personen unter dem Gesichtspunkt der Prominenz wirkt manchmal etwas makaber. Zur gleichen Zeit werden in einer Art von „ferner liefen“ in einem unteren Randstreifen der Seiten weitere Schicksale „nichtprominenter“ Personen lediglich aufgelistet. Mehr menschliches Interesse, Empathie und Taktgefühl für die getöteten, weniger prominenten Künstler hätte man sich hier gewünscht. Das Aufrufen der bisher namenlosen vernichteten Existenzen ist schon verdienstvoll, ihnen an der Seite der Stars einen würdigen Platz einzuräumen und zu sichern, bleibt aber ein noch ausstehender zweiter Schritt.

Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 264f.

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