Anna-Christine Rhode-Jüchtern: Maria Leo (1873-1942). Pionierin einer neuen Musikpädagogik [Jutta Heise]

Anna-Christine Rhode-Jüchtern: Maria Leo (1873-1942). Pionierin einer neuen Musikpädagogik. – Hildesheim [u.a.]: Georg Olms, 2021. – 446 S.: s/w-Abb. (Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts ; 18)
ISBN 978-3-487-16050-4 : € 39,80 (geb.)

In ihrer Forschungsarbeit gibt die Musikwissenschaftlerin Anna-Christine Rhode-Jüchtern, die bereits 2008 das Leben der völlig vergessenen und bis dahin unerforschten Musikpädagogin und Komponistin Charlotte Schlesinger (1909–1976) mit jenem der gut dokumentierten Grete von Zieritz (1899–2001) zu einer Doppelbiographie verknüpft hat (Rez. s. info-netz-musik) einleitend einen kurzen Überblick über den Inhalt und das Ziel des Buches. Die Ergebnisse werden in einer kurzen Zusammenfassung am Ende des Buches dargestellt.

Der Schwerpunkt des Buches beinhaltet einen weitreichenden Überblick über die Musiklehrerbildung an den verschiedenen musikalischen Ausbildungsstätten des 19. Jahrhunderts und deren Entwicklung zur Professionalisierung bis ins 20. Jahrhundert. Aufgrund umfangreicher Recherchen ist es möglich, den Lesern und Leserinnen Informationen zu vermitteln, die in diesem Zusammenhang und der Ausführlichkeit noch nicht zusammengetragen wurden.

Die Berufstätigkeit von Frauen war selbst Ende des 19. Jahrhundert noch nicht weit verbreitet und bot ihnen auch wenige Möglichkeiten zur Ausübung. So stellte der Beruf der  privaten Musiklehrerin mit einen wichtigen Bereich für Frauen dar, sich ihren Lebensunterhalt selber zu verdienen. Allerdings gab es eine sehr hohe Anzahl der Musik unterrichtenden Frauen, so dass sie bis weit in das 20. Jahrhundert hinein nicht in der Lage waren, von dem erteilten Unterricht auch wirklich leben zu können, und es bestand sogar die Gefahr in die Armut abzugleiten.

Ausführlich werden in dem Zusammenhang die Probleme bei der Entstehung und Einrichtung von öffentlichen Mädchenschulen in Berlin behandelt. Ein Überblick über die Inhalte der Seminare Ende des 19. Jahrhunderts zeigt die Defizite der damaligen Ausbildung. Gab es speziell für das jeweils erlernte Instrument Prüfungen, so benötigte man zum Unterrichten desselben keiner Prüfung.
Die Pädagogin Maria Leo steht als eine Frau im Fokus, die für die Entstehung der Musikpädagogik als Fach einen wichtigen Beitrag geleistet hat. Wie viele Frauen in der Geschichte wurden auch Maria Leo und ihr Wirken vergessen.
Die Autorin beschreibt die wichtigsten zu findenden biografischen Daten der Pädagogin und bietet zunächst einen Überblick über ihre Familiengeschichte. Da nur wenige Kenntnisse über das Leben der Pädagogin zur Verfügung standen, bildet ihr Kampf um die Lehrerausbildung und ihre Entwicklung den roten Faden der Abhandlung, die detailreich den Einfluss und das Wirken Maria Leos auf diesem Gebiet beschreibt. So kämpfte sie um die Einführung reformpädagogischer Leitlinien bei der Ausbildung von MusiklehrerInnen und gehörte mit zu den Gründerinnen des Verbandes Deutscher Musiklehrerinnen (ADLV), der sich stark für Reformen auf diesem Gebiet einsetzte. Das Ziel war es, eine Neubewertung des Faches der Musik- bzw. Instrumentalpädagogik.

Eine der Hauptforderungen der Reformen bestand in der Einführung staatlicher Prüfungen für MusiklehrerInnen, um den Musiklehrerstand unter den Schutz des Staates zu stellen. Bei der Ausbildung zur MusikpädagogIn sollte es festgelegte Standards geben. Das Ziel war ein Lehrplan für eine dreijährige seminaristische Ausbildung, in dem das Fach Pädagogik als Seminarfach fest etabliert ist. Weiterhin sollten regelmäßige Fortbildungen und Kongresse geplant werden.
Darüber hinaus setzte sich Maria Leo für die Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Musiklehrerinnen ein, indem sie um die Regulierung der Honorare, für einen Versicherungsschutz und eine Altersvorsorge kämpfte.

Die Musikgruppe Berlin e.V. gründete 1911 ein Seminar ausschließlich für Frauen, das Maria Leo bis 1932 leitete und lt. Eberhardt Preußner als das „Führende Musikseminar in Deutschland“ (S. 10) Vorbildcharakter trug. Hier konnte sie „auf der Grundlage reformpädagogischer Erkenntnisse“ (S. 12) die Professionalisierung des Berufes voranbringen.
Rhode-Jüchtern beschreibt ausführlich, wie sich Maria Leo für die Verbreitung der „Tonika-Do-Methode“ einsetzt. Dabei arbeitete die Pädagogin stark mit Agnes Hundoegger und ihrem in Hannover eingerichteten Seminar zusammen. Dort nahmen Maria Leo mit Agnes Hundoegger die ersten Prüfungen der “Tonika-Do-Methode” ab.

Als Publizistin stellte Maria Leo in vielen Artikeln ihre Vorstellungen für eine neue Pädagogik dar. Eine Liste ihrer Publikationen findet sich im Anhang des Buches.
Weiterhin finden wir dort u.a. eine Zeittafel mit den wichtigsten Lebensdaten Maria Leos, eine tabellarische Auflistung „Zur Entstehung privater Instrumentallehrerverbände incl. der Chronologie staatlicher Aufsicht“, „Satzungen und Prüfungsordnungen“ und die Seminarordnung ihres Musikseminars, nebst Tabellen über die Strukturen der verschiedenen Konservatorien in Berlin von 1890 bis 1930.
Die Dokumentation ist hilfreich für fachlich Interessierte, bedarf allerdings streckenweise wegen der vielen kleinteiligen Informationen einiger Geduld beim Lesen.
Inhaltsverzeichnis

Jutta Heise
Hannover, 30.06.2022

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