Thomas Schinköth: Samuel Lampel. Kantor, Lehrer, Komponist, Publizist [Thomas Kauba]

Thomas Schinköth: Samuel Lampel. Kantor, Lehrer, Komponist, Publizist. – Berlin [u.a.]: Hentrich & Hentrich, 2021. – 76 S.: s/w Abb. (Jüdische Miniaturen ; 281)
ISBN 978-3-95565-490-0 : € 8,90 (Broschur)

Für die Leipziger im Stadtteil Mockau ist der Name Samuel Lampel (1884-1942) spätestens seit 1992 ein Begriff. Dort wurde in jenem Jahr eine Straße nach ihm benannt. Was für ein Mensch verbirgt sich hinter diesem Namen? Wer eine ausführliche und zugleich kurzweilig zu lesende Antwort darauf sucht, dem sei das Büchlein des Musikwissenschaftlers Thomas Schinköth wärmstens empfohlen.

Mit Leidenschaft und Hingabe widmet sich der Autor seit mindestens drei Jahrzehnten der Musik und dem Schicksal jüdischer Musiker – insbesondere jenen, deren Leben die Leipziger Region berührte. Mit einigen dieser Künstler pflegte Thomas Schinköth einen persönlichen Austausch, z.B. mit dem Komponisten Herman Berlinski, mit der „Swing-Legende“ Heinz Jakob „Coco“ Schumann, oder mit Rolf Kralovitz, einem Schüler Samuel Lampels. In diesem Buch stellt Thomas Schinköth mit profunder Sachkenntnis die wichtigsten biographischen Stationen des jüdischen Kantors und Komponisten Samuel Lampel vor. Aufgewachsen im Berliner Scheunenviertel, wirkte er zehn Jahre als Lehrer an der jüdischen Gartenbauschule in Hannover-Ahlem, bevor er 1914 als Kantor der liberalen Gemeindesynagoge nach Leipzig ging. Ein großes Anliegen war es ihm, durch Konzerte und Rundfunksendungen Nichtjuden für jüdische Kultur zu interessieren. Seine Sammlung „Kol Sch‘muel“ (Die Stimme Samuels), die 57 Kompositionen für die Sabbat- und Festtagsliturgie enthält, fand überregionale Beachtung. Nach der Pogromnacht 1938 wirkte Lampel zudem als Rabbiner, gleichermaßen für liberale und orthodoxe Juden.

Schinköth gestaltet diese Biographie nicht als eine trockene Aneinanderreihung von Fakten: Sein Buch wird auch für kultur- und stadthistorisch Interessierte zum Lese-Erlebnis. Immer wieder lässt der Autor Bilder von Orten, an denen Lampel wirkte, vor unserem inneren Auge entstehen. Das alte Scheunenviertel in Berlin, wo Lampel aufwuchs, wird für den Leser einen Moment lang ebenso lebendig, wie die ehemalige Leipziger Synagoge in der Gottschedtstraße, „wo damals noch die Straßenbahn um die Kurve quietschte“ (S. 15). Damit lässt der Autor den Leser manche Leipziger Örtlichkeiten mit neuen Augen sehen: Neben der Synagoge auch die von Ephraim Carlebach 1912 gegründete jüdische Schule, in der sich heute das Deutsche Zentrum für barrierefreies Lesen befindet. Hier unterrichtete Lampel Musik und Turnen. Einer der dortigen Schüler war der o.g. Herman Berlinski, der dem Autor persönlich schilderte, wie er Lampel als Lehrer erlebte und was er ihm musikalisch verdankte. Diese persönlichen Gespräche des Autors mit Zeitgenossen schlagen sich in seinem Buch nieder und der Leser erhält damit Informationen, die in keiner bereits vorliegenden Dokumentation zugänglich sind. Auch erfährt man immer wieder Details aus dem Leben jener Musiker, die das Leben Lampels begleiteten, z.B. Wilhelm Rettich (1892-1988), der einige Jahre den Synagogenchor leitete, oder dessen Nachfolger Barnet Licht (1874-1951).

Zugleich erhält der Leser in den ausführlichen Fußnoten und Literaturhinweisen zahlreiche Anregungen, sich selbständig auf eine weitere Spurensuche zu begeben. Nicht zuletzt laden die sorgfältig ausgewählten Abbildungen zum Innehalten ein, z.B. die zerstörte Synagoge und der heutige „Nachdenkort Gottschedstraße“ an derselben Stelle – oder eine Fotografie von Karteikarten der Israelitischen Religionsgemeinde, den letzten Spuren von Samuel Lampel und seiner Frau Rosa. Ausführlich widmet sich der Autor der Zeit des Nationalsozialmus, die für Lampel mit einer stetigen Auflösung des jüdischen Gemeindelebens begann – und die für ihn und seine Frau 1942 mit ihrer Deportation endete, womit sich ihre Spuren verloren. Schinköth schlägt einen Bogen in die Gegenwart, lässt uns erleben, wie der Enkel Samuel Lampels 2015 nach Leipzig reiste und die Stolpersteine vor dem ehemaligen Wohnort seines Großvaters in der Tschaikowskistraße 23 besuchte.
Für mich wird es damit auch zu einem ganz aktuellen und nachdenklich stimmenden Buch: In einer Zeit wie der heutigen, in der erneut Menschen vom öffentlichen, kulturellen und teilweise gar beruflichen Leben ausgeschlossen werden, in der mittlerweile gar erste Fensterscheiben russischer Läden klirren, kann man nicht oft genug daran erinnern, worin solche Vorgänge enden können…

Thomas Kauba
Leipzig 06.03.2022

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