Bodo Plachta und Achim Bednorz: Komponistenhäuser [Michaela Krucsay]

Bodo Plachta und Achim Bednorz: Komponistenhäuser. Wohn- und Arbeitsräume berühmter Musiker aus fünf Jahrhunderten – München: DVA, 2018. – 192 S.: 250 farb. Abb.
ISBN 978-3-421-04098-5 :  € 50,00 (geb.)

Manche Kollaborationen erweisen sich als besonders fruchtbar, und so ist es wohl nicht erstaunlich, dass der Literaturwissenschaftler Bodo Plachta und der Architekturfotograf Achim Bednorz nach dem Erscheinen ihrer gemeinsamen Publikationen Künstlerhäuser (Reclam, 2014) und Dichterhäuser (Theiss, 2017) erneut für ein Projekt zusammengefunden haben. Das Ergebnis, ein sehr schöner Bildband zu den Wohnstätten berühmter Komponisten mit intellektuellem Mehrwert und nicht zu vernachlässigendem kulturtouristischem Potential, liegt mittlerweile vor.
Bereits die Einleitung, in ihrem Titel „Begehbare Musikstücke“ (S. 6) die Inszenierung der zentralen Rauminstallation des Bachhauses in Eisenach paraphrasierend, greift aktuelle Tendenzen und Schlagwörter aus der einschlägigen Forschung auf und reflektiert diese in Hinblick auf das nicht unambitionierte Vorhaben, das mit dem vorliegenden Buch seine Umsetzung fand: Immerhin über dreißig Wohn- bzw. Arbeitsstätten von bekannten Komponisten, allesamt für BesucherInnen zugänglich, werden in Wort und Bild präsentiert und in der Biographie ihrer einstigen Bewohner verortet. Führte die insgesamt über zwei Jahre andauernde Arbeit die beiden Autoren auch durch verschiedene Teile Europas, gleichermaßen durch bekannte wie weniger geläufige Orte, von London bis ins südfinnische Järvenpää, so müssen sie angesichts der Fülle potentieller Motive doch die letztendliche Subjektivität ihrer Auswahl einräumen: Diese „orientiert sich zweifellos an dem Kanon, den die Erinnerungskultur unserer Tage vorgibt.“ (S. 17) Insofern darf es dann wohl kaum überraschen, dass Clara Wieck-Schumann als einzige Frau unter den von Plachta und Bednorz gewählten Beispielen in Erscheinung tritt. Sie führt ihr Quotendasein ganz traditionell in einem mit ihrem Gatten Robert Schumann geteilten Kapitel, um an späterer Stelle im Kontext von Johannes Brahms nochmals in Baden-Baden aufzutauchen. (Vgl. S. 76-81 bzw. S. 120-123) Dies, so mag nun mit absoluter Berechtigung eingeräumt werden, ist zweifellos maßgeblich der Tatsache geschuldet, dass die vorhandenen architektonischen Erinnerungsorte aus verschiedenen Gründen primär Männern gewidmet sind. Dieser Mangel an erhaltenen Wohnungen von Komponistinnen wird in der Einleitung auch am Rande thematisiert. (Vgl. S. 8f) Ein gewisses Bedeutungsgefälle scheint jedoch auch in Clara Schumanns ausschließlicher Etikettierung als Pianistin bzw. Klaviervirtuosin erkennbar. Ihre eigenen kompositorischen Tätigkeiten finden keine Erwähnung, was umso prägnanter erscheint, als im unmittelbaren Folgekapitel zu Edvard Grieg von dem heute ebenfalls primär als Instrumentalist bekannten „Geigenvirtuosen und Komponisten Ole Bull“ die Rede ist. (S. 82) Schließlich bleibt hinsichtlich Clara und Robert Schumanns auch noch eine kleinere inhaltliche Panne zu benennen: Zwar fand die Verlobung des Künstlerpaares heimlich statt, nicht jedoch die Heirat, wie hier irrtümlich behauptet – musste diese doch, wie der Autor selbst vorweg ausführt, im Jahr 1840 gerichtlich erwirkt werden. (Vgl. S. 76)
Was Plachta und Bednorz angesichts der sowohl in geographischer Hinsicht als auch in Bezug auf die jeweilige museologische Umsetzung heterogenen Ausgangslage zusammengestellt haben, erweist sich trotz derlei kleiner Irritationen als absolut sehens- und lesenswert. Die thematisch schlüssige Zusammenfassung der einzelnen „Wohn- und Arbeitsräume“ in größere Kapitel, eher orientiert an soziokulturellen bzw. biographischen Zusammenhängen denn an den Vorgaben der Landkarte oder Chronologie, wirft Schlaglichter auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Beispielhaft dafür sei der Abschnitt „Sommerfrischen“ genannt, unter dem sich Carl Maria von Weber (Dresden-Hosterwitz, S. 116), Johannes Brahms (Baden-Baden, S. 120), Gustav Mahler (Steinbach am Attersee und Maiernigg am Wörthersee; nicht jedoch Toblach, S. 124) und Franz Lehár (Bad Ischl, S. 128) finden.
Dass Bednorz, der Architekturfotograf, als ausgewiesener Experte für sakrale Räume gilt, verleiht seinen Bildern gerade im vorliegenden Kontext auf der Metaebene insofern eine pikant-attraktive Note, als die Wirkstätten der „großen Komponisten“ ihren Nimbus als Pilgerorte vieler Kunstgläubiger bis in die Gegenwart niemals ganz verloren haben. Selbst Plachta, dessen fundierter und zeitgemäßer Zugang zur Thematik unstrittig ist, kann sich dem nicht gänzlich entziehen, wenn er auf sympathische Weise ins Schwärmen gerät: „Das Arbeitszimmer ist zweifellos das Herz dieser Häuser, weil es mit einer beinahe mystischen Aura von Kreativität umgeben ist und damit der Künstler-Genius fassbar zu sein scheint.“ (S. 15) Dabei sei gerade Plachtas wohltuend differenzierter Umgang mit den über siebzig Umzügen in Wien des für Mythenbildung bekanntlich besonders anfälligen Beethoven hervorgehoben: In dem ihm gewidmeten Kapitel werden keineswegs Klischees des unleidigen, rastlosen Eigenbrötlers fortgeschrieben, sondern die Lebenssituation des Komponisten mit der seiner Zeitgenossen kontextualisiert und reflektiert. (S. 44)
Bodo Plachta und Achim Bednorz erweitern mit der gegenständlichen Publikation aktuelle Diskurse zur Erinnerungs- und Gedächtniskultur um eine visuelle Komponente. Die Frage nach möglichen Strategien und Konzepten des Umgangs mit Gebäuden von musikgeschichtlicher Relevanz wird anhand unterschiedlichster Beispiele, von der Richard Strauss-Villa in Garmisch-Partenkirchen (S. 170-173) bis zum ihr völlig entgegengesetzten, aus der Notwendigkeit geborenen Konzept des Hamburger „KomponistenQuartiers“ (S. 182f) exemplarisch beantwortet. Dass man sich als LeserIn verführt sieht, diese sämtlich öffentlich zugänglichen Erinnerungsorte selbst zu besuchen, mag durchaus intendiert sein. Solange dies noch aufgeschoben werden muss, bietet Plachtas und Bednorz‘ Buch eine ansprechende und oftmals erhellende Übergangslösung. Beschließt man dann doch, sich persönlich auf den Weg zu machen, so erleichtert eine vollständige Adressliste, die sich im Anhang des Buches findet, die Reisevorbereitungen. Dort sind auch die Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln sowie eine Aufstellung weiterführender Literatur verzeichnet.

Michaela Krucsay
Leoben, 17.01.2019

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