Georg Günther: Friedrich Schillers musikalische Wirkungsgeschichte. Ein Kompendium [Peter Sühring]

Günther, Georg: Friedrich Schillers musikalische Wirkungsgeschichte. Ein Kompendium. Teil 1: Einleitung und Register, Teil 2: Verzeichnis der musikalischen Werke – Stuttgart: J. B. Metzler, 2018. – 374; 696 S.: Abb. (Musik in Baden-Württemberg. Quellen und Studien ; 10)
ISBN 978-3-476-04619-2 : € 129,99 (geb., auch als eBook)

Friedrich Schiller war ein musikalischer Dichter. Seine Gedichte und Dramen drängen zur Musik und seine theoretischen Träumereien versprachen sich viel von der steigernden Wirkung der Musik für seine Dichtungen. Wagner sah sich wohl eher irrtümlich als Vollstrecker musikdramatischer Ideen Schillers (und Goethes). Die Kraft der Musik, aus den ihr innewohnenden Elementen tönende Charaktere zu bilden, war es wohl, was Schiller faszinierte und seinen Freund Gottfried Körner 1795 dazu animierte, diesem Thema einen Aufsatz in Schillers Zeitschrift Die Horen zu widmen. Kein Wunder, dass die Musikgeschichte nicht nur voll von theoretischen Bezügen zur Schillers Ideen ist, sondern dass auch die praktischen, d.h. komponierenden und aufführenden Musiker sich gerne und intensiv Schillers Dichtungen und deren Vertonung zuwandten, wenn auch nicht so oft wie zu denen Goethes. Und welch ein Wunder und welch ein Glück für Musik- und Literaturliebhaber, dass es nun einem Schiller- und Musikforscher gelungen ist, die Geschichte dieser Liebesbeziehung in all ihren Facetten und Einzelheiten, großen und kleinen Resultaten zu dokumentieren.
Georg Günther legt damit sein opus magnum vor, und wir als Leser und Nutzer dieses zu Recht und bescheiden als Kompendium bezeichneten Handbuchs können uns glücklich schätzen, dass es diesem fleißigen und klugen, von einer tückischen Krankheit geplagten Menschen noch gelungen ist, dieses sein Herzensanliegen zu vollenden und der Mitwelt zur Verfügung zu stellen. Es ist die starke Erweiterung einer Vorläufer-Publikation über Schiller-Vertonungen aus dem Jahr 2001, der noch weitere ähnliche über Vertonungen Eduard Mörikes und Hermann Hesses folgten.
Imponierend ist nicht nur die literarisch-musikalische Doppelbegabung des Dokumentaristen und sein Fleiß, sondern auch die philologisch streng erarbeitete und verwirklichte Methodik, die Genauigkeit der Dokumentation und Darstellung. Vorab fällt besonders die bereits in der Einleitung sichtbare Nähe zum Dichter Schiller ins Gewicht, eine tiefe Kenntnis nicht nur von dessen Lyrik und Schauspielen, sondern auch von dessen Reflexionen über das spannungsreiche Verhältnis von Dichtung und Musik, Wort und Ton, wobei die Frage des variierten Strophenliedes eine besondere Bedeutung hat. Dann aber muss man des Autors tiefe Einsicht in die Details der Geschichte, die man „Schiller und die Folgen“ nennen könnte, bewundern, also in Schillers enorme Wirkung auf die musikalische Mit- und Nachwelt. Wer von Schiller nur Das Lied von der Glocke kennt oder nur Beethovens einigermaßen misslungene Vertonung von Schillers Ode an die Freude, die mit den Worten Freude, schöner Götterfunken beginnt, und vielleicht noch von einer Verdi-Oper nach Schiller weiß, wird erstaunt sein, wie viele Entdeckungen hier zu machen sind. Wie viele weitere Vertonungen der Freude-Ode es gibt, deren Komponisten sich durch Beethovens durchschlagende Berühmtheit nicht abhalten ließen, es noch einmal, vielleicht sogar besser, zu versuchen. Unter wie vielen Zeitgenossen Schillers bereits die Vertonung seiner Gedichte einsetzte. In welche schiefen zeitgeistigen Strömungen, vor allem des Chauvinismus, Schillers Dichtung durch ihre Vertonungen für gemeinschaftsstiftenden Kollektiv-Gesang hineingezogen wurde. Wie viele Schiller-Gedichte der Goethe-Intimus Carl Friedrich Zelter vertont hat. Dass Verdi nicht nur ein kongenialer Shakespeare-, sondern auch Schiller-Komponist war, dem es gelang, Schillers Sprache in eine ganz andere Sphäre seelenkundiger dramatischer Musik zu versetzen. Dass es nicht nur eine Wilhelm-Tell-Oper von Rossini, sondern auch eine Schauspielmusik zu diesem Drama von Hanns Eisler gibt.
Besonders viele unbekannte Musiker (ein echtes, nicht generisches Maskulinum) begegnen einem in diesem räsonierenden Katalog, der Einblick gibt in die Lebensdaten und durch Briefzitate in die Ansichten heute vergessener Komponisten sowie in die Entstehungsgeschichte ihrer Werke. Unter den wenigen Komponistinnen waren jene, die sich wie Fanny Hensel Schiller-Vertonungen zutrauten oder zumuten wollten, noch einmal sehr gering. Mit allem Nachdruck sei’s gesagt: dieses Kompendium gehört nicht nur in die Hände von einschlägigen Schiller-Experten, sondern auch und gerade in die musikhistorisch interessierter Kenner und Liebhaber. Am schönsten wäre der Effekt dieses dokumentarischen Werks, wenn es praktische Musiker von heutzutage dazu animieren könnte, vergessene interessante Schiller-Vertonungen wieder einmal aufzuführen, beispielsweise aus dem Bereich der modernen und sozusagen zeitgenössischen Musik, wozu Günthers Listen einige Beispiele enthalten.
Günthers vom Verlag bisher nicht beworbenes Kompendium der Schiller-Vertonungen ist nicht nur in sich stimmig und sauber gearbeitet, es gibt auch Auskunft über die angewandten Methoden, die es dem Musikhistoriker und Bibliothekar erlaubten, ein so vorzügliches Resultat zu erzielen. Nach einem der Einleitung angehängten Abbildungsteil, der auch visuell die verschiedenen Sphären der Schiller-Adaptionen versinnbildlicht, ist ein Kapitel über sein Katalogisierungskonzept angeschlossen, das Einblick in das dokumentierende Handwerk gibt und als mustergültig bezeichnet werden darf. Unvermeidlich nimmt das Siglen-Verzeichnis mehr als dreißig Seiten in Anspruch und zeigt allein dadurch schon quantitativ die qualitative Bandbreite der Quellen. Das im ersten Band untergebrachte dreiteilige Register von ca. 260 Seiten umfasst auf über 150 Seiten die Personen, woran besonders zu loben ist, dass die zu den Personen gehörenden Werktitel mit registriert und nachgewiesen sind. Das Titelregister umfasst weiter mehr als 100 Seiten (allein auf die Wallenstein-Trilogie entfallen sechs Seiten) und ‑ für die Kenner Geflügelter Schiller-Worte oder -Anfangszeilen besonders nützlich – ein Register der Textincipits. Der zweite Band liefert, neben kürzeren Abschnitten über Anonyma, nur mit Initialen gezeichneten Werken und solchen mit ungesichertem Schiller-Bezug den Hauptteil von 682 Seiten mit dem alphabetischen Verzeichnis der Komponisten und ihrer Werke. Hier kann und muss jeder Leser seine eigenen Entdeckungen machen und Überraschungen erleben.
Man liest in diesen Bänden nicht ohne dankbare Gefühle, und in Zeiten, in denen das Danken zu einer herz- und hirnlosen Routine zu verkommen droht (nach dem Motto: viele haben  mitgewirkt), muss hier betont werden, dass es sich bei diesem Dichtung und Musik umspannenden Schiller-Katalog um das einer Krankheit abgerungene Werk eines für seine Sache brennenden Einzelkämpfers handelt, der seinen Zeitgenossen ein wichtiges Instrument zur musikalisch-literarischen Besinnung und Vergegenwärtigung eines nicht einfachen und nicht ungefährlichen Dichters geschenkt hat. Mit Schillerschem Pathos könnte man ‑ wie im Monument Moors des Räubers ‑ ausrufen: „Vollendet! Heil dir! Vollendet!“

Peter Sühring
Bornheim, 02.02.2019

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