Georg Kreisler: Zufällig in San Francisco. Unbeabsichtigte Gedichte

Kreisler San Francisco CoverKreisler, Georg: Zufällig in San Francisco. Unbeabsichtigte Gedichte. – Berlin: Verbrecher, 2010. – 119 S.
ISBN 978-3-940426-46-8 : € 19,00 (geb.)

Die nach den letzten Gedichten erschienenen nachletzten Gedichte sind wiederum eigentlich keine. So sehr ihr unabsichtlicher Autor, dem alles ungewollt in die Feder floss, weil er einmal damit angefangen hat und nicht wieder aufhören kann, es auch bestreiten würde: Es sind Lieder, also Gedichte nicht nur voll Poesie, sondern auch voll Musik. Das Handwerk hat Kreisler irgendwo gelernt, der Reim kommt ohne Widerstand von selbst, der Rhythmus ist so kräftig, dass man sich unwillkürlich eine Melodie draufmachen kann. Der berühmte Kreisler-Sound, der auch in der autobiografischen Prosa unverwüstlich ist und zu dem man das von den Klaviertasten erzeugte Gebrodel und die Figurationen schon im Ohr hat, übermächtigt den Leser unmittelbar, obwohl das von Kreisler sicher nicht beabsichtigt war. Der Band besteht aus zwei Gedichtsammlungen (Gedichte I und Gedichte II) und einem Vorwort, einem Zwischenwort und einem Nachwort. Im Gegensatz zu den Liedern sind die Worte beabsichtigt und hart erarbeitet. Kein Dichter redet gerne über seine Gedichte. Obwohl Kreisler mit sich und der Welt hadert (welcher echte Dichter täte das nicht?), sind seine absurden, anarchischen Gedanken sehr lehrreich, was das Erbauen einer eigenen Wirklichkeit in der Dichtung betrifft, die Kreisler wie im Handumdrehen aus ein paar Reimen und Rhythmen erstehen lässt. Da stehen dann solche Sätze wie „Gedichte sind das, was der Musik am nächsten kommt, als der Versuch, etwas auszudrücken, was sich nicht ausdrücken lässt“ (S. 14) oder „Liedertexte sind mit Gedichten nicht zu vergleichen, auch wenn die Verfasser manchmal so tun als ob. Sie kommen anders zustande, denn man geht von der Musik aus, ob sie schon komponiert ist oder nicht, Gedichte gehen vom Dichter aus“ (S. 13). Hier irrt sich Kreisler über sich selbst. Obwohl er so tut, als täte er’s nicht, kann er gar nicht anders, als auch beim Dichten von noch unkomponierter Musik auszugehen.

Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010),

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