Daniel Tatarsky und Ian Preece: Musicology. Die Welt der Musik in Infografiken [Michael Stapper]

Tatarsky, Daniel und Ian Preece: Musicology. Die Welt der Musik in Infografiken. Ill. von Robin Richards. Aus d. Engl. übers. – München: Prestel, 2018. – 176 S.: 80 farb. Abb.
ISBN 978-3-7913-8410-8 : € 29,95 (geb.)

1977 erschien mit dem dtv-Atlas zur Musik ein populärwissenschaftliches Nachschlagewerk, das unzähligen Musikschülern und –studenten seither als unverzichtbarer Bestandteil der Handbibliothek gilt. Das Konzept der dtv-Atlas-Reihe ist dabei so einfach wie überzeugend. Auf fast jeder Doppelseite befindet sich gegenüber dem klar strukturierten Textteil eine Seite mit Notenbeispielen und Abbildungen, die in anschaulicher Weise das jeweilige Thema erläutern, variieren oder vertiefen. In dieser Konsequenz war die Rezeptur gleichermaßen neu und vorausschauend. Denn die Wissensvermittlung mittels Schaubildern, wie es damals noch hieß, ist seit dem Aufkommen und der Verbreitung von Infografiken sowohl in der Fachliteratur als auch in der Zeitungs- und Zeitschriftenbranche nicht mehr wegzudenken. Kaum eine Publikation verzichtet auf die Möglichkeiten, Informationen visuell aufzubereiten und Themen effizient, klar und anschaulich zu präsentieren. Die kreative Zusammenstellung der Fakten erlaubt zudem einen frischen und bisweilen ungewohnten Blick auf die Zusammenhänge, wobei neben dem reinen Erkenntnisgewinn auch ein unterhaltsamer Aspekt nicht vernachlässigt werden darf.
Gerade in dieser Hinsicht kann der bei Prestel erschienene Band Musicology – Die Welt der Musik in Infografiken als gelungen betrachtet werden. Die vorliegende Veröffentlichung ist die deutsche Ausgabe eines 2017 bei Carlton Books (London) publizierten Buches, das von Daniel Tatarsky und Ian Preece geschrieben und von Robin Richards illustriert wurde. Die beiden Autoren sind nicht als ausgewiesene Musikexperten bekannt und wenden sich in ihrem literarischen und journalistischen Schaffen durchaus auch anderen Themengebieten wie Fußball oder Radfahren zu. Dementsprechend führt die bei Prestel verwendete Titelformulierung, die übersetzt Musikwissenschaft bedeutet, etwas in die Irre. Im englischen Original kommt man dagegen schneller auf den Punkt: Stats, Records & Rock’n’Roll. Fine-tuned Infographics to Rock Your World. Das Universum der Musik, das laut Klappentext, in 80 Infografiken ergründet werden soll, beschränkt sich tatsächlich überwiegend auf das kleine Sonnensystem der populären Musik. Dies ist nicht verwerflich, besonders wenn das Ergebnis so unterhaltsam präsentiert wird, könnte aber durchaus klarer kommuniziert werden.
Das Themenspektrum der von dem Grafiker Robin Richard illustrierten Inhalte reicht von „nutzlos, aber nett“ bis zum Aha-Erlebnis. Wenn wir beispielsweise erfahren, in welchen Songtiteln Nummern vorkommen oder wie groß die jeweilige Schadenssumme bei diversen Hotelzimmerverwüstungen war, so geht der Erkenntnisgewinn nicht darüber hinaus, alternative Möglichkeiten zur Strukturierung und Kategorisierung musikalischer Werke und deren Urheber zu erlernen. Dass jeder Mensch diese Techniken anwenden kann, um sich in der Fülle akustischer Informationen zu orientieren, wäre durchaus eine sinnvolle Weiterentwicklung und könnte zu überraschenden Ergebnissen führen (wie etwa würde eine Playlist aussehen, wenn sie nur aus Künstlern bestünde, die auf dem Cover ihres Debütalbums ein rotes T-Shirt trugen?). Andere Grafiken dagegen bereichern den eigenen Kenntnisstand, wenn sie etwa die Entwicklung des Synthesizers nachzeichnen, die wichtigsten Londoner Piratensender übersichtlich auflisten oder die Wechselwirkung zwischen Rock- und Pop-Musikern und klassischer Musik illustrieren. Interessant und erhellend sind auch jene Grafiken, bei denen durch die angelsächsische Biografie der Autoren ein neuer Fokus auf einzelne Themen gesetzt wird. So betrachten Tatarsky und Preece in einer Grafik die deutsche Musikszene, konzentrieren sich aber ausschließlich auf Künstler wie Can, Amon Düül oder Kraftwerk, die auch außerhalb Deutschlands Einfluss auf Musikschaffende ausgeübt haben. Und dann gibt es nicht zuletzt die Seiten, auf denen scheinbar aus reinem Spaß Zusammenhänge gesucht und gefunden werden. Beispielhaft hierfür ist eine Karte, auf der mit kriminalistischen Mitteln versucht wird, den Standort des Motels aus dem Gene-Pitney-Klassiker 24 hours from Tulsa zu bestimmen.
Nicht alle dargelegten Fakten würden einer strengen wissenschaftlichen Kontrolle standhalten. Dies mag sowohl an dem fehlenden fachlichen Hintergrund der Autoren liegen als auch an den verwendeten Quellen, die nur übergreifend genannt werden. Eine Angabe wie „guardian.com“ oder „wikipedia“ ist schlichtweg zu unspezifisch und wirft bei den ausgesuchten Quellen zudem oftmals die Problematik nutzergenierter Inhalte auf. Hinweisen sollte man auch darauf, dass trotz des großformatigen Buches die Lesbarkeit auf einzelnen Seiten wegen der Informationsfülle etwas leidet. Das schmälert den Spaß bei der Lektüre aber nur geringfügig.

Michael Stapper
München, 22.04.2018

 

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