Herbert Blomstedt: Mission Musik. Gespräche mit Julia Spinola [Christoph Zimmermann]

Herbert Blomstedt: Mission Musik. Gespräche mit Julia Spinola – Leipzig u. Kassel: Henschel u. Bärenreiter, 2017. – 183 S.: Abb., Vita, Diskogr., Auszeichn., Personenreg.
ISBN 978-3-89487-950-1 (Henschel), 978-3-7618-2417-7 (Bärenreiter) : € 24,95 (geb.)

Auch mit 90 Jahren (Geburtstag 11. Juli 1927) ist der schwedische Dirigent Herbert Blomstedt eine überaus vitale, körperimposante Erscheinung. Bildaufnahmen (beispielsweise auf YouTube), welche ihn auch von vorn zeigen, lassen in besonderer Weise die liebenswürdige Autorität erkennen, mit welcher er seine Orchestermusiker immer wieder Bann zieht. Blomstedt scheint stets zu lächeln und musizierend Freude zu vermitteln. Gleichzeitig aber sorgen seine wachen Augen und kontrolliert impulsiven Gesten für strenge Beachtung des vorgegebenen Notentextes. Aber er empfindet sich nicht als “autoritären Orchesterdompteur”, so ein Statement (S. 13) im vorliegenden Buch. Dieses ist, auch wenn es Biografisches nicht auslässt, weniger Lebenslauf als meditatives Protokoll über musikalische Seins- und Sinnfragen. Julia Spinola begleitete den Dirigenten auf diversen Reisen, wurde auch in die familiäre Atmosphäre des Dirigenten einbezogen. Obwohl gegenüber Medien zurückhaltend, ist Herbert Blomstedt durchaus ein kommunikativer Mensch, stets bereit für ein grüblerisches Gespräch. Über die von ihm geleiteten Orchester (u.a. Stockholm Philharmonic – sein offizielles Debüt 1954 – Staatskapelle Dresden, NDR Sinfonieorchester, Gewandhausorchester Leipzig, San Francisco Symphony, Bamberger Symphoniker) äußert er sich (ungeachtet kritischer Anmerkungen en detail) ausgesprochen freundschaftlich. “Ich freue mich, dass es mir vergönnt ist, mit guten Musikern gute Musik aufzuführen. Ein Machtwort zu sprechen, fällt mir (hingegen) schwer”, so eine ein halbes Jahr zurückliegende Interviewäußerung, durchaus typisch für viele seiner Aussagen in dem Spinola-Buch.
Blomstedts künstlerische Aktivität orientiert sich an religiösen Überzeugungen. So ist für den gläubigen Adventisten das Sabbat-Gebot am Samstag absolute Verpflichtung, was Arbeit (also auch Proben) an diesem Tag ausschließt. Aber damit hat sich Blomstedt stets durchzusetzen vermocht. Gelernt hat er bei dem kontrollierten Igor Markevitch ebenso wie bei dem emotional explosiven Leonard Bernstein. Seine eigene Überzeugung versteht er als geistige Energie, welche ein Autoritätsgebaren wie bei seinem Gewandhaus-Vorgänger Kurt Masur ausschließt. In den gloriosen Jahren bei der Dresdner Staatskapelle hat sich Blomstedt dem Oeuvre des dortigen Hausgottes Richard Strauss angenähert, auch an der Semper-Oper dirigiert, ungeachtet einer verbleibenden Reserviertheit gegenüber dem Musiktheater. Trotz viel aufgeführter Romantik (dabei starker Einsatz für schwedische Komponisten wie Franz Berwald und Wilhelm Stenhammar) und Engagement für Zeitgenössisches: Blomstedts Abgott ist Bach (“von ihm besessen”, S. 93) Solche Äußerungen lassen einen eminent christlich geprägten Musiker erkennen, dessen religiöses Empfinden mit seiner künstlerischen Kreativität verschmilzt. Musik als moralisches Prinzip.
Die Buchautorin hat auf sensible Weise verstanden, Herbert Blomstedt zu all seinen tiefschürfenden Äußerungen zu bewegen. Das etwas zu euphorische Vorwort: geschenkt.

Christoph Zimmermann
Köln, 05.08.2017

Dieser Beitrag wurde unter Bach, Johann Sebastian (1685-1750), Biographie, Blomstedt, Herbert (*1927), Dirigent, Rezension abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.