Eric Pfeil: Komm, wir werfen ein Schlagzeug in den Schnee. Die Pop-Tagebücher

Pfeil, Eric: Komm, wir werfen ein Schlagzeug in den Schnee. Die Pop-Tagebücher. – Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2010. – 368 S.
ISBN 978-3-462-04218-4 : € 14,95 (Pb.)

Problematisch ist nicht das Urteil, das ich über Eric Pfeils Tagebuch fälle. Das geht recht schnell: „Mit Begeisterung und Nachdruck empfehle ich Komm, wir werfen ein Schlagzeug in den Schneeallen Menschen, denen Popmusik mehr ist als Beruhigungsklänge bei ambulanten operativen Eingriffen.“ Fertig. Problematisch ist der Stil, indem ich die Besprechung verfasse. Der schnaufige Musikwissenschaftler scheidet aus – darüber würde sich Pfeil in seinem Blog, sollte er meinen Text in die Finger kriegen,womöglich lustig machen. Eine anbiedernde Kopie seines Wort- und Formulierungstalents geht noch viel weniger. Hohn und Spott wären dem übereifrigen Plagiator sicher. Wie aber löst man das Problem? Indem man mit solchen Überlegungen möglichst viel Platz vergeudet, im Anschluss kurz den Buchinhalt wiedergibt, um am Ende überrascht auszurufen: „Wie? Muss ich schon aufhören?“
Also dann: Mit Ende 30 beschließt der Musikkritiker Eric Pfeil ein Tagebuch zu führen und dessen Einträge in der FAZ, bei Spiegel Online und im Musikexpress (und schließlich gesammelt in diesem Buch) zu publizieren. In den Aufzeichnungen schreibt er über die Widrigkeiten des Kritikerlebens; gewährt Einblicke in Kneipen- und Konzertbesuche; lässt seiner Dylan-Begeisterung freien, aber fundierten Lauf; entdeckt für seine Leser neue Platten, deren Urheber in einem Register gelistet sind; entlarvt Trends; mokiert sich über fremde und eigene popkulturelle Jugendsünden … Und all dies macht er mit der langjährigen Erfahrung eines mittelalten Musikliebhabers, der rechtzeitig den Sprung vom Schlagzeughocker – den er lampenfieberbedingt nie vollends abzusitzen gewillt war – auf den Schreibtischstuhl geschafft hat. Sein Sprachgefühl, seine Fähigkeit für gut durchdachte und abwechslungsreiche Formulierungen sind einnehmend, doch wäre diese Gabe alleine zu wenig. Was Pfeils Texte darüber hinaus lesenswert macht, ist die Erfüllung einer der vornehmsten Kritikerpflichten: Wegweiser sollen sie sein durch die unendliche Weite des musikalischen Kosmos. So ist Pfeils Analyse des Videos der deutschen Spendensammelcombo Band für Afrika witzig, geistreich und treffend – und wird Zeitgenossen, die sich einer ähnlichen Musiksozialisation wie Pfeil erfreuen können, zustimmend nicken lassen. Der Autor belässt es aber nicht bei dem Blick zurück, sondern lenkt den Fokus auf neue Veröffentlichungen oder ältere Geheimtipps, von denen auch die Leser profitieren können,die sich ansonsten recht sicher im Paralleluniversum der Popmusik bewegen. Und, ach ja, da noch ein paar Zeichen übrig sind, erlaube ich mir frecherweise, Herrn Pfeil ein Thema für den nächsten Tagebucheintrag vorzuschlagen: Wigald Bonings Album Wildeshausen (1991) eignet sich hervorragend, um das Missing Link zwischen Otto und Prince zu konstruieren. Oder so ähnlich.

Michael Stapper
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 184f.

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