Der Komponist als Erzähler. Narrativität in Dimitri Schostakowitschs Instrumentalmusik / Hrsg. v. Melanie Unseld u. Stefan Weiss

Der Komponist als Erzähler. Narrativität in Dimitri Schostakowitschs Instrumentalmusik / Hrsg. von Melanie Unseld und Stefan Weiss. – Hildesheim: Olms, 2008. – 253 S.: 3 s/w-Fotos, 2 s/w-Abb., zahlr. Notenbsp. (Ligaturen. Musikwissenschaftliches Jahrbuch der Hochschule für Musik und Theater Hannover ; 2)
ISBN 978-3-487-13593-9 : € 39,80 (Pb.)

Der vorliegende Band ist die Dokumentation eines internationalen interdisziplinären Symposiums, das 2006 an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover stattfand. Untersuchungsgegenstand ist die Instrumentalmusik Dimitri Schostakowitschs (1906–1975). Als methodischen Ansatz wählten die Sprach- und Musikwissenschaftler den aus der Literaturwissenschaft stammenden Begriff der Narrativität. Sie gehen also kurz gesagt der spannenden Frage nach: Kann Musik, insbesondere die Instrumentalmusik von Schostakowitsch, erzählen? Der erste Teil des Bandes betrachtet dazu zunächst grundlegende Fragen der Narrativität, ihre Merkmale und die Anwendbarkeit auf Musik (Werner Wolf, Dorothea Redepenning). Karin Eggers klärt in ihrem Beitrag „Musik als Medium“ in diesem Zusammenhang die Nutzung der Begriffe Metapher und Symbol und verweist auf die wichtige Abgrenzung zur musikalischen Hermeneutik (S. 117–132). Auch wenn sich die Autoren in erster Linie an eine wissenschaftlich interessierte Leserschaft wenden, sind gerade diese methodischen Überlegungen allen zu empfehlen, die sich mit der Vermittlung von Musik beschäftigen. Denn sie schärfenden Blick für die heute noch immer weit verbreitete, aus dem 19. Jahrhundert stammende– und fragwürdige – „Konzertführerprosa“. Gleichzeitig berühren sie die fundamentale Frage aus Hörersicht, warum instrumentale Musik für ihn sinnfällig ist.
Der zweite Teil des Bandes bietet in vier Fallstudien die konkrete Anwendung des methodischen Ansatzes auf Schostakowitschs Zweite und Vierte Sinfonie sowie die Filmmusik zu Soja und das Neunte Streichquartett. Die zum Teil sehr detaillierten Analysen sind mit zahlreichen Notenbeispielen belegt, insbesondere der Beitrag von Pauline Fairclough „Narrative Strategies in Shostakovich’s Fourth Symphony“ (S. 147–165) tastet sich in die Tiefen der musikalischen „Textur“ vor.
Im abschließenden Teil dokumentiert der Band das Experiment des „Close Readings“von Schostakowitschs Siebtem Streichquartett. Dies ist der Versuch, die literaturwissenschaftliche Methode des „genauen Lesens“ auf die Musik zu übertragen und sich dabei auf den Notentext und die Aufführung zu konzentrieren, d.h. Erkenntnisse zu gewinnen, ohne zu interpretieren, und gleichzeitig vielfältige Lesarten des Gehörten zuzulassen (S. 203–206). Die Beiträge von Kadja Grönke, Lorenz Luyken und Clemens Kühn bieten nach dieser Methode sehr anschaulich drei verschiedene Lesarten des Streichquartetts an. Vor allem der Bezug Luykens auf Eduard Hanslick rundet den methodischen Ansatz stimmig ab (S. 219–235). Nachvollziehbar und überzeugend präsentiert der Band neue Forschungsergebnisse bzw. -methoden. Ihre Anwendung auf instrumentale Musik anderer Epochen erscheint lohnend.

Eva Schütz
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 172f.

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