Riccardo Chailly: Das Geheimnis liegt in der Stille [Christoph Zimmermann]

Chailly, Riccardo: Das Geheimnis liegt in der Stille. Gespräche über Musik mit Enrico Girardi – Kassel: Bärenreiter u. Leipzig: Henschel, 2015 – 192 S.: Vita, Auszeichnungen, Diskografie, Personenreg.
ISBN 978-3-89487-944-0 (Henschel), 978-3-7618-2391-0 (Bärenreiter) : € 22,95 (geb.)

Zweifelsohne gehört Riccardo Chailly zu den maßgeblichsten Dirigenten unserer Zeit. Bereits als Siebzehnjähriger trat er als Dirigent in Erscheinung, wenig später begann Claudio Abbado nachdrücklich seinen Weg zu formen. Dass Chaillys Karriere zunächst über die Oper lief, wird bei einem gebürtigen Italiener kaum verwundern. Danach aber verlagerte sich das Repertoire stärker auf den Konzertbereich, eine durchaus logische Folge bei Chefpositionen in Berlin (RSO), Amsterdam (Concertgebouw) und Leipzig (Gewandhaus); im Moment wird das Lucerne Festival aktuell. Mit der Barenboim-Nachfolge an der Scala di Milano positioniert Chailly sein Faible für die Oper indes neu. Es ist also durchaus logisch, dass das hier vorgestellte Buch über den Dirigenten essenzielle Fragen der Theaterarbeit (speziell die Kooperation mit Regisseuren) erst gegen Ende anschneidet. Chailly äußert sich zu diesem Thema aufgeschlossen, stellt bezüglich einer gedeihlichen Zusammenarbeit allerdings die Bedingung, dass die „Integrität“ (S. 163) eines Werkes gewahrt bleibt.
Es mag bereits erkennbar geworden sein, dass es sich bei dem Buch um keine Biografie im engeren Sinne handelt. Vielmehr hat Interviewpartner Enrico Girardi „Gespräche über Musik“ aufgezeichnet, welche Chaillys Karriereweg zwar durchaus nachzeichnen, aber doch vornehmlich die musikalische Einstellung und Arbeitsweise des Dirigenten erörtern. Der Buchtitel Das Geheimnis liegt in der Stille spielt darauf an, dass kontemplative Zurückgezogenheit, sprich: das Partiturstudium von Chailly mit einer geradezu priesterlichen Strenge gehandhabt wird, wobei „die Musik zum Käfig“ (S. 13) werden kann.
Chaillys Akribie beim Studium von Notenmaterial und seine Neugierde auf Unbekanntes oder Entlegenes (ein Paradebeispiel ist die im Moment nicht mehr greifbare CD-Aufnahme Puccini Discoveries) führte den Dirigenten auch zu den Sinfonien Gustav Mahlers, bei denen er mit der von Deryck Cooke komplettierten „Zehnten“ begann, die er im laufenden Jahr übrigens wieder mehrfach in Leipzig präsentieren wird. Als weiterer „schwergewichtiger“ Österreicher kam dann Anton Bruckner hinzu. Dieser emotional begründete Schwerpunkt bedeutet aber kein Spezialistentum, was auch am Engagement Chaillys für zeitgenössische Musik abzulesen ist. Ein Abgott für den nach Tiefe suchenden Dirigenten stellt Johann Sebastian Bach dar, speziell seine Matthäus-Passion. Skrupulöses Fazit: „Die einzige Gewissheit ist er selbst“ (S. 75).
In den Gesprächen mit Girardi manifestieren sich Chaillys intellektuelle Denkweise und sein reflektiver Charakter nachdrücklich. Der Übersetzung der auf Italienisch geführten Gespräche eignet freilich etwas Glättendes, so dass man als Leser Detail-.Authentizität manchmal in Zweifel zu ziehen geneigt ist. Dass und wie weit Michael Horst vom schriftlich fixierten O-Ton abgewichen ist, muss natürlich Vermutung bleiben. Der aussagekräftige Werkstatt-Charakter des Buches bleibt von solchen Einwänden unberührt.

Christoph Zimmermann
Köln, 07.01.2016

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