Barbara Hoos de Jokisch: Die geistige Klangvorstellung. Franziska Martienßen-Lohmann [Barbara Wolf]

Hoos de Jokisch, Barbara: Die geistige Klangvorstellung. Franziska Martienßen-Lohmann. Gesangstheorie und Gesangspädagogik. – Wiesbaden: Breitkopf & Härtel, 2015. – 600 S.: s/w-Abb.; CD
ISBN 978-3-7651-0477-0 : € 62,00 (Pb.)

Der Titel ihrer Dissertation Die geistige Klangvorstellung hätte, so ihre Verfasserin Barbara Hoos de Jokisch, auch von der Gesangspädagogin Franziska Martienßen-Lohmann (1887-1971) selber stammen können. Hätte sie ihre drei gesangstheoretischen Schriften zusammengefasst, so wäre nach Meinung von Hoos de Jokisch  mit hoher Wahrscheinlichkeit derselbe Titel dabei heraus gekommen. Allein diese Äußerung belegt bereits, wie intensiv sich die Autorin  mit der Gesangspädagogin Franziska Martienßen-Lohmann auseinander gesetzt und sich in ihre Theorien und Arbeitsweisen eingefühlt hat.
Franziska Martienßen-Lohmanns Schriften enthalten Anstöße, die für die aktuelle Diskussion in der Gesangswissensschaft von Bedeutung sind, und die Dissertation der Dozentin für Gesangspädagogik und Methodik Barbara Hoos de Jokisch ist die erste wissenschaftliche Arbeit, die den theoretischen gesangspädagogischen Ansatz von Franziska Martienßen-Lohmann als Ganzes betrachtet und als solchen aufarbeitet.
Barbara Hoos de Jokisch weiß wovon sie spricht. Als Sängerin beschäftigte sie sich intensiv mit der Praxis und bildete Sängerinnen und Sänger aus. Die Schriften von Franziska Martienßen-Lohmann auszuwerten, eine Methodik zu erkennen, erfordert also die Fähigkeit, sich einfühlen zu können in deren didaktische Vorgehensweise. Und genauso geht sie vor: sie entwickelt ein Bewusstsein für die Denk- und Arbeitsweise von Franziska Martienßen-Lohmann, konstruiert ein gesangspädagogisches Theoriegebäude auf Grundlage der Schriften Franziska Martienßen-Lohmanns und beschreibt Konstellationen im Umfeld der Pädagogin, die sie beeinflusst haben. Ihr Ansatz ist historisch, biographisch, hermeneutisch und philosophisch: Neben der Auseinandersetzung mit historischen Vorläufern Franziska Martienßen-Lohmanns erforscht sie auf der biographischen Ebene persönliche Einflüsse aus ihrem Leben, analysiert ihre Begriffe und dringt in die philosophischen Dimensionen ihrer Arbeit vor.
Barbara Hoos de Jokisch arbeitet systematisch und äußerst präzise. Sie wertet eine Vielzahl an Quellen aus und zeichnet ein sehr detailliertes Bild der Persönlichkeit sowie der Gesangspädagogin. Auf einer CD-ROM stellt sie bislang nicht publizierte Quellen zur Verfügung, die einen visuellen und auditiven Eindruck geben: Zeittafeln, Selbstzeugnisse, Briefwechsel, Quellendokumente, Verzeichnisse, Ton- und Videodokumente. Neben den Videoaufnahmen, die Franziska Martienßen-Lohmann als Person in Familie oder in beruflichen Begegnungen zeigen, sind die Audio-Aufnahmen eines Meisterkurses besonders interessant. Hier wird der Zuhörer Teilnehmer des Meisterkurses und erfährt, was ihr bei den Interpretationen der Lieder wichtig war. Sie gab sehr persönliche Ratschläge: jede Interpretation musste der Musik gerecht werden. Sie ging von der Musik aus, und der Sänger musste sein Bestes geben, um mit seinen Fähigkeiten die entsprechende Musik zur Vollendung zu bringen. Eine individuelle Geschichte, bei jedem Schüler immer wieder neu.
Das Buch ist gedacht als ein erster Baustein in der gesangspädagogischen Konstellationsforschung. Die Autorin erhofft sich, durch diese und durch weitere folgende Arbeiten die Gesangspädagogik neu verständlich werden zu lassen.
Die Arbeit schließt eine große Lücke in der historisch orientierten Gesangswissenschaft und kann allen Sängern, Gesangsstudierenden, Gesangspädagogen, Gesangswissenschaftlern und am Gesang Interessierten wärmstens ans Herz gelegt werden.

Barbara Wolf
Heidelberg, 03.11.2015

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