Robert und Clara Schumann: Briefwechsel mit Franz Brendel, Hermann Levi, Franz Liszt, Richard Pohl und Richard Wagner [Peter Sühring]

Robert und Clara Schumann: Briefwechsel mit Franz Brendel, Hermann Levi, Franz Liszt, Richard Pohl und Richard Wagner / Hrsg. von Thomas Synofzik, Axel Schröter und Klaus Döge (†) – Köln: Dohr, 2014 – 1.040 S. (Schumann Briefedition, Serie II Freundes- und Künstlerbriefwechsel ; 5)
ISBN 978-3-86846-016-2 : € 118,00 (Subs.-preis im Rahmen der Serie II: 108,00; im Rahmen des Gesamtwerks: 98,00) (geb.)

Unter den im letzten Jahr schubartig neu erschienenen Bänden der monumentalen, historisch-kritisch angelegten und durchgeführten Schumann-Briefedition nimmt der fünfte Band der zweiten Serie (Briefe des Ehepaars Schumann an Freunde und Künstlerkollegen) eine herausragende, wenn nicht brisante Stellung ein, dokumentiert er doch jene Briefe, die die Schumanns mit den Vertretern einer später so genannten Neudeutschen Schule wechselten. Somit mit einem Kreis von Komponisten, Musikpublizisten und Dirigenten, die ihre schon vor Schumanns Tod beginnende Ablehnung von dessen als rückständig empfundenen Kompositionen nicht verhehlten. Wer nun aber nähere Aufklärung über die Differenzen oder gar musikästhetische briefliche Dispute erwartet, wird hier relativ selten fündig werden. Hermann Levi müsste als ideologiefreier Auch-Wagner-Dirigent hier eigentlich ausgenommen sein, und der Band hätte unter dem genannten Sammelaspekt eigentlich nur Wagner, Liszt, Brendel und Pohl als Briefadressaten haben dürfen und daher nur halb so dick zu sein brauchen.
Schumanns Briefwechsel mit Wagner brach 1848 endgültig ab, also noch bevor die Musikschriftstellerei Wagners in ihre eigentlich weltanschaulich-dogmatische Phase eintrat, denn Schumann unternahm keinerlei Aktivitäten, um mit dem in der Schweiz exilierten Musikdramatiker, mit dem ihn noch in Leipzig und Dresden kollegiale Kontakte verbanden, in Verbindung zu treten. Das Studium Wagnerscher Partituren (Rienzi, Der fliegende Holländer, Tannhäuser, Lohengrin) und Besuche Dresdener Wagner-Aufführungen durch Schumann sind überliefert, noch von der Endenicher Klinik aus wollte er eine Kölner Lohengrin-Aufführung besuchen, auch äußerte er sich Liszt gegenüber positiv zu Wagners Schrift über Oper und Drama, in der dieser erstmals die Abschaffung der Musik als autonomer Kunst historisch und aktuell zu begründen suchte. Schumanns eigene Bemühungen, eine neue, jenseits von Oper und Oratorium liegende musikdramatische Gattung zu finden, ließen ihn auch für Wagners Konstruktionen empfänglich sein. Interessant ist die aus den Kommentaren hervorgehende Tatsache, dass sich Wagner und Schumann für die gleichen altdeutschen Sujets als Stoffe ihrer eventuellen Bühnenmusiken interessierten. Clara Wieck-Schumann stand Wagners Musik von Anfang an, seit sie Rienzi gehört hatte, instinktiv ablehnend gegenüber und bemühte sich erst gar nicht, für Wagners theoretisches Schwadronieren Verständnis aufzubringen. Ob sie ein solches für ähnliche musikdramatische Ambitionen ihres Mannes (Genoveva, Manfred, Das Paradies und die Peri) hatte aufbringen können, darf bezweifelt werden, denn da ging es wohl eher um literarisch-metaphysische Gespräche von Männern unter sich. Der hier nachgedruckte Briefwechsel zwischen beiden Männern enthält bis auf die Widmung einer Partiturabschrift der 2. Sinfonie von Schumann an Wagner keine textlichen Neuigkeiten, ist er doch bereits 1978 von Ulrich Konrad mustergültig ediert worden. Der Ton war kollegial, schließlich brauchte Wagner den Redakteur Schumann, um Paris-Korrespondent für die von jenem gegründete und redigierte Neue Zeitschrift für Musik (NZfM) zu werden, und Schumann brauchte Wagners Erfahrungen als Chordirigent, als er in Dresden anfing, den gemischten Chorgesangverein zu leiten.
Auch der Briefwechsel zwischen Robert Schumann und Liszt zwischen 1836 und 1852 zeigt viele Übereinstimmungen, sogar noch in der Konzeption einer poetischen, an Literatur orientierten Musikauffassung. Es gab Eintrübungen durch Liszts Einwände gegen einzelne Kammermusikwerke Schumanns, in der Hauptsache aber ist das Verhältnis davon geprägt, dass Liszt in seiner Virtuosenzeit und als Kapellmeister in Weimar, soweit es der Publikumsgeschmack, dem Liszt dienen wollte, zuließ, Klavier- und sinfonische Werke Schumanns zur Aufführung brachte. Ein Bindeglied war die gemeinsame Begeisterung für Berlioz, zu dem sich Schumann als Redakteur und Liszt als Dirigent öffentlich bekannten. Die gegenseitige Wertschätzung kam auch durch die Widmungen von gewichtigen Werken an den jeweils anderen Gesprächs- und Briefpartner zu Ausdruck, Schumann widmete Liszt seine große C-Dur-Fantasie, Liszt seine h-Moll-Sonate Schumann. Schumann äußerte prinzipielle Einwände gegen Liszts Zukunftsmusik nur in seiner Korrespondenz mit dem Liszt- und Wagnerschwärmer Pohl; in einem Brief bezeichnete er entgegen dem Fortschrittdünkel der Neudeutschen Bach, Händel und Beethoven als die wahren Zukunftsmusiker und wehrt sich dagegen, einen „überwundenen Standpunkt“ zu vertreten. Während Robert in der Endenicher Klinik sein Leben verdämmerte, führte Clara die Korrespondenz kurz und vereinzelt weiter. Allerdings fallen ihre Briefe, in denen es um mögliche Auftritte von ihr in Weimar ging, schon in eine Zeit, in der von Seiten Liszts andere publizistische und kompositorische Töne angeschlagen wurden und seine Konzeption der sinfonischen Dichtung ultimative Züge annahm und auch Schumanns Wirken von ihm im Nachhinein als nicht mehr zukunftsfähig behauptet wurde. 1855 trieb Liszts Verunstaltung von Schumanns Genoveva-Ouvertüre in einer Klavierfassung zu vier Händen Clara Tränen des Zorns in die Augen, im gleichen Jahr lässt Liszt in einer kritischen Artikelserie zu Schumann die programmmusikalische Katze aus dem Sack. Über Schumanns Tod darf im Auftrag Claras dann nur noch der Duzfreund Joseph Joachim Mitteilung machen. Die von Clara bei Liszt erbetenen frühen Briefe ihres Mannes an ihn, die Liszt schon damals als verloren gegangen melden musste, konnten auch in dieser Ausgabe nicht wiedergegeben werden.
Am aufregendsten ist das Kapitel mit dem aus verstreuten Quellen gesammelten Briefwechsel zwischen Robert Schumann und Franz Brendel aus den Jahren 1837 bis 1853. Der fast gleichaltrige Brendel, der schon früh mit Schumann in der Leipziger Zeit freundschaftlich und antiphiliströs verbunden war, wurde von Schumann ab 1837 als (zunächst sporadischer, dann stark präsenter) Mitarbeiter der NZfM gewonnen, allerdings fiel von Anfang an ein ins Philosophische gehender hoher Ton auf, der nicht so sehr Robert, aber Clara Schumann und deren Vater Friedrich Wieck befremdete. Früh entwickelte Brendel sein vormärzliches, geschichtsphilosophisch begründetes publizistisches Konzept, das vorsah, das Musikfeuilleton mit dem für Literatur und Bildende Kunst zu verknüpfen. Auch seine in der NZfM langatmig rezensierten musikhistorischen Vorlesungen gingen in die Richtung, das Existenzrecht einer separaten Musik, die vom „Leben“ und den anderen Künsten isoliert bliebe, für die Zukunft zu bestreiten. Immer weniger war Brendel bereit, etwas Reinmusikalisches zu liefern, wie von Schumann gewünscht. Trotzdem kam Schumann Mitte 1844 auf ein bereits 1841 von Brendel unterbreitetes Angebot zurück, die NZfM zu kaufen und selber herauszugeben, was zu Beginn des Jahres 1845 verwirklicht wurde. Die Briefe der späten 40er Jahre, zwischen Dresden, wo die Schumanns nun wohnten, und dem Leipziger Redakteur waren relativ konstruktiv; Schumann unterbreitete sogar Vorschläge an die Adresse des von Brendel geführten Tonkünstlerverbandes, um gegen Bearbeitungen älterer Musikwerke vorzugehen sowie um verderbte Stellen in deren Überlieferung zu beseitigen. Brendels Entwicklung zu einer weltanschaulich fundierten totalitären Gesinnung, die das Gesamtkunstwerk der Zukunft propagierte und alle früheren reinmusikalischen Ansichten für überwunden erklärte, ging (zunächst schleichend, bald immer offensichtlicher) voran und führte unvermeidlich zu negativen Beurteilungen neuerer Schumannscher Werke, besonders vonseiten des ideologischen Vorreiters des Wagnerianismus, Theodor Uhlig, die teilweise so heftig waren, dass selbst Brendel sie nicht abdrucken wollte. Ab 1851 wurden Schumann die Hefte der NZfM nicht mehr nach Düsseldorf geschickt, weswegen er sie sich 1853 gesammelt nachsenden ließ. In einem auffälliger- und bedauerlicherweise verloren gegangenen Beschwerdebrief Schumanns gelang ihm aber auch das Kunststück, Brendel seinen berühmt gewordenen Aufsatz Neue Bahnen über den mit ihm und Clara befreundeten jungen Brahms anzubieten. Brendel konnte nicht anders, als diesen völlig quer zur aktuellen Tendenz der damaligen NZfM stehenden Artikel auch abzudrucken. Mit den Druckfahnen schickte Brendel einen gewundenen Rechtfertigungsbrief mit dem Angebot, im Sinne „gemeinsamer Prinzipien“ wieder zusammenzuarbeiten. Fraglich ist, ob Schumann dieses Angebot angenommen hätte, wenn nicht 1854 sein Zusammenbruch erfolgt wäre.
Der erst 1850 einsetzende und nur bis Anfang 1854 währende Briefwechsel mit Richard Pohl mündet von Seiten Robert Schumanns in den bereits erwähnten bekenntnishaften Brief, den sein Adressat wie einen Abschiedsbrief behandelt. Schumann hatte mit Missfallen die Artikel eines gewissen mit dem Pseudonym Hoplit zeichnenden hochfahrenden Autors in der NZfM zur Kenntnis genommen und musste nun feststellen, dass sich dahinter jener Richard Pohl versteckte, mit dem er früher versucht hatte in drei Projekten zusammenzuarbeiten: einer Musik zu einem von Pohl angebotenen Vorspiel zu Schillers Braut von Messina, zu einem Luther-Oratorium nach einem Pohlschen Libretto und zu einer Chorballade nach einer Bearbeitung Pohls von Uhlands Des Sängers Fluch. Die in dem Briefwechsel dokumentierten langwierigen und schwierigen Verhandlungen zwischen dem erfahrenen Schumann und dem literarisch und musikalisch dilettierenden Akustiker Pohl führten nur im Falle von Uhlands Ballade zu einem ‑ letztlich von Schumann auch textlich vollendeten ‑ Resultat, die Arbeit am Luther-Oratorium wurde wegen der Sprunghaftigkeit und Unsicherheiten Pohls abgebrochen, Schumanns Ouvertüre zu Schillers Drama bedurfte eines hinzugedichteten Vorspiels schließlich nicht. Pohls parteiischer Wagner-Liszt-Enthusiasmus, mit dem er Schumann hofft anstecken zu können, ist wirr und pseudophilosophisch und prallt an Schumanns gestandenem Selbstbewusstsein völlig ab. Clara Schumann korrespondiert später noch mit Pohl wegen einiger Konzerte in Baden-Baden in den siebziger Jahren.
Das Kernstück des Bandes bildet der 500 Seiten umfassende Briefwechsel aus den Jahren 1863‑95 zwischen Clara Schumann und dem Dirigenten Hermann Levi, aus dem man gut einen eigenen Band hätte machen könnten, denn: „hier gilt’s der Kunst!“ Unter familiärem Aspekt zeigt sich Levi hier neben Brahms als ein Ersatzvater für die Kinder der Schumanns, Clara spielt gern die Rolle einer Ersatzmutter für den Halbwaisen Levi. Unter dem hier aber zentralen musikalischen Aspekt geht es um Levi als Schumann-Dirigent, der erreichen konnte, dass selbst Genoveva und Manfred zeitweilig Repertoirestücke auf deutschen Bühnen und Konzertpodien wurden, geht es um diesbezügliche aufführungspraktische Details, um Levis Rolle als Herausgeber von Orchesterpartituren im Rahmen der Schumann-Gesamtausgabe. Diese 500 Seiten wollen mit Herz und Verstand gelesen sein. Es öffnet sich ein Panorama des deutschen Musiklebens der 1860er bis -90er Jahre, Claras Unverständnis von Levis Engagement für Wagner inklusive. Nur vereinzelt sind Briefe schon in Berthold Litzmanns Clara-Schumann-Biografie zitiert worden, hauptsächlich wird hier aus autographen Quellen erstmals publiziert.
Alle Briefwechsel enthalten instruktive Einführungen der Herausgeber, und alle Briefe sind mit dichten Stellenkommentaren versehen, die zeigen, wie tief und auf aktuellem Forschungsstand die Kommentatoren mit den Dingen vertraut sind. Ein Anhang bringt Faksimiles und ein räsonierendes Register der Personen und ihrer Werke. Eine editorische Glanzleistung!
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Peter Sühring
Berlin, 26.09.2015

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