Heinz G. Schmidt: Die Zigeuner kommen. Markus Reinhardt entdeckt sein Volk

Schmidt, Heinz G.: Die Zigeuner kommen. Markus Reinhardt entdeckt sein Volk.- Wien: Picus, 2007. – 166 S.
ISBN 878-3-85452-621-6 : € 19,90 (geb.)

Am Anfang steht ein großer Plan: Nachdem der Reporter Heinz G. Schmidt vor 15 Jahren zusammen mit Markus Reinhardt, Jazzgeiger und Sinto aus Köln, ein Verwandter des großen Django Reinhardt, einen Film über die Zukunft der Zigeuner gedreht hat, plant er nun einen über deren Vergangenheit, über ein Volk, das keine Bücher kennt und nur aus der Erinnerung lebt. Spuren seiner geteilten Geschichte finden sich allenfalls in seiner Sprache und in der Musik. Und so nimmt Markus Reinhardt seine Geige mit und versucht, wohin sie auch kommen, mit den Menschen in Romanes zu sprechen, der Sprache der Sinti und Roma. Aber er muss feststellen, dass den Zigeunern in den meisten Ländern die Sprache längst verboten wurde, die meisten dürfen auch nicht mehr über Land ziehen, und die Reste ihrer eigenen Kultur können sie nur bewahren, wenn sie möglichst für sich bleiben.
Das Buch schildert in den einzelnen Kapiteln die mehr als dutzend Stationen dieser Reise quer durch Europa, von der Türkei bis nach Andalusien, von Belfast bis in den Süden Frankreichs. Die beiden Männer treffen Zigeuner aller Hautfarben und Zungen, Sinti und Roma, Gitanos und Traveller, Kalderasch und Cingene, Tzigans und Manoush und erfahren dabei von deren Traditionen, Lebensweisen und Problemen. Sie haben ihre Geschichte nicht verschriftlicht, sondern von Generation zu Generation mündlich tradiert. Ihr Leben ist keineswegs lustig, wie es in dem Volkslied heißt, sondern sie wurden entweder gezwungen, sich entgegen ihrem Naturell anzusiedeln, oder sie waren durch die Jahrhunderte auf der Flucht; im Spanien Francos, im Nationalsozialismus und im sozialistischen Osteuropa wurden sie von den Gadsche (Nicht-Zigeunern) grausam verfolgt und systematisch vernichtet. Damit starb auch ein Teil ihrer Geschichte, die Schmidt und Reinhardt im Gespräch mit Überlebenden zu rekonstruieren versuchen.
So sehr Markus Reinhardt immer wieder niedergeschlagen ist, weil die Zigeuner ihre Traditionen vernachlässigen, seine Sprache nicht verstehen und auch nicht mehr so selbstverständlich musizieren, so sehr freut er sich immer wieder, wenn er irgendwo doch etwas Gemeinsames entdeckt, wie in Algeciras, wo Gitanos den Flamenco erfunden haben oder in Ungarn, wo er auf den Spuren eines berühmten Zigeuner-Orchesters reist.
Der Stoff ist sehr interessant, durch Schmidts knappen und spröden Stil ist das Medium Buch jedoch für die Vermittlung des Inhalts nur bedingt geeignet, es liest sich eher wie das Manuskript zu einem Radiofeature. Und hier kommen uns die Errungenschaften der Technik zugute: Das Filmprojekt scheiterte zwar an der Finanzierung, letzten Endes wurde aber eine sechsteilige Serie für WDR und SWR daraus, die im Frühjahr 2007 ausgestrahlt wurde. Wenn man auf www.wdr5.de -> Archiv nach „Zigeuner” in „Feature.Serie” für den Zeitraum „2007″ sucht, kann man alle Folgen in voller Länge als mp3-File anhören. Und somit hat das Buch doch seinen Zweck erfüllt [Stand 2007]
Inhalt und Leseprobe

Jutta Lambrecht
zuerst veröffentlicht in FM 29 (2008), S. 93f.

 

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