Schumann und Dresden. Bericht über das Symposion „Robert und Clara Schumann in Dresden”

Schumann und Dresden. Bericht über das Symposion „Robert und Clara Schumann in Dresden – Biographische, kompositionsge-schichtliche und soziokulturelle Aspekte“ in Dresden vom 15. bis 18. Mai 2008 / Hrsg. von Thomas Synofzik und Hans-Günter Ottenberg. – Köln: Dohr, 2010. 464 S.: Abb., Notenbsp. (Studien zum Dresdner Musikleben im 19. Jahrhundert ; 1)
ISBN 978-3-936655-88-9 : 69,80 (geb.)

Da die Schumanns knapp sechs Jahre (Ende 1844 bis Mitte 1850) ihres gemeinsamen Ehe- und Künstlerlebens zwischen ihren Lebensphasen in Leipzig und Düsseldorf in Dresden verbrachten, Robert sogar ein Drittel seiner gesamten kompositorischen Produktion hier schuf und das durch die revolutionären Ereignisse furchtbare Jahr 1849 zugleich sein „fruchtbarstes“ war, mag diese Beziehung zwischen den Musikern Clara und Robert Schumann und der Stadt Dresden ausschlaggebend genug sein, ihr einmal ein eigenes Symposium zu widmen. Und so versammelte sich fast alles, was in der Schumann-Forschung Rang und Namen hat, im Mai 2008 in Dresden selbst, um dieser Schaffensperiode im Leben von Robert und Clara Schumann nachzugehen.
Auf dieser Tagung konnten schließlich auch die letzten Nachwehen der innerdeutsch gespaltenen Schumann-Forschung, die nicht minder in eine west- und ostdeutsche zertrennt war als die Bach-Forschung, überwunden werden, denn die Quellen sind nun schon seit längerem allgemein zugänglich, müssen aber erstmal kombiniert werden. Es ist zu bedauern, dass die im Untertitel noch nachklingende thematische Gliederung der Tagung im Tagungsband aufgelöst wurde zugunsten einer rein alphabetischen Anordnung der Vorträge nach Verfassernamen. So scheint ein sinnvoller Zusammenhang innerhalb thematisch gruppierter Beiträge zerstört, den der Leser sich selbst erneut konstruieren muss. Die Ausbeute für die Schumann-Forschung ist nicht gering, aber auch nicht allzu hoch zu veranschlagen.
Was den biografischen Aspekt betrifft, so bleibt auch nach den Recherchen und Entdeckungen der hier versammelten Beiträge (von Beatrix Borchard speziell über Clara, Michael Heinemann, Hans Joachim Köhler, Hans-Günter Ottenberg,Wolfgang Seibold, Matthias Wendt, Monika von Wilmowsky) weiterhin unklar (und wird es wohl auch immer bleiben), was die Schumanns überhaupt veranlasste, nach Dresden, in dieses damals trotz des Wirkens von Friedrich Wieck, Ferdinand Hiller und Richard Wagner „unmusikalische Nest“, zu ziehen, in dem es ein nur schwach entwickeltes bürgerliches Musikleben und nach dem Weggang von Hiller und Wagner „nicht einen Musiker“ mehr gab, dafür aber viele Freunde unter Literaten, Malern und Naturwissenschaftlern. Der Überdruss an der Leipziger Betriebsamkeit könnte es gewesen sein. Vom ungeliebten Leipzig ins ungeliebte Dresden, vom ungeliebten Dresden ins ungeliebte Düsseldorf, fast eine Kleist’sche Existenz, der auf Erden nicht zu helfen war. Aber in der Dresdener musikalischen Diaspora und der mit ihr verbundenen relativen und wohl auch gewollten Vereinsamung ließ es sich, trotz der und gegen die aufkommende Nervenkrankheit, prächtig komponieren.
So erfreulich es ist, dass hier endlich einmal ziemlich unterbelichtete Werke Schumanns in Einzeluntersuchungen besprochen werden, darunter: die Kantate Adventlied nach Rückert. op. 71 (Ute Bär) oder das Nachtlied nach Hebbel op. 108 (Armin Koch), die Fugen-Kompositionen opp. 60 und 72, die er während einer „kontrapunktischen Kur“ schuf (Klaus Döge), sowie vor allem seine zahlreichen A-cappella-Chorwerke – Schumann hatte die von Hiller geleitete rein männliche Liedertafel übernommen und einen neuen gemischten Chor gegründet und für beide Institutionen komponiert – (Reinhard Kapp über deren Klangregie als Teil einer stimmlichen Registrierungskunst), so erstaunlich ist es, dass zwei der bedeutendsten und seltsamsten Schumann-Werke aus der Dresdener Periode, Manfred nach Byron und die Szenen aus Goethes Faust entweder nur in ihrer negativen Spiegelung bei Nietzsche (Ulrich Tadday) oder in ihrer literaturwissenschaftlichen Perspektive (Edda Burger-Güntert) zur Sprache kommen. Zu diesen beiden Werken hat die musikwissenschaftliche Forschung noch lange nicht das letzte Wort gesprochen, und sie sind aus dem Dresdener Zusammenhang eigentlich nicht herauszulösen.
Dass das letzte Wort selbst für das viel besprochene Album für die Jugend op. 68 trotz Appels erschöpfend scheinender großer Monografie von 1998 noch nicht gesprochen ist, beweisen die beiden Beiträge von Michael Beiche und Dieter Conrad, die diesen einem Ideal von Kürze und Schlichtheit verschriebenen Stücken neue Details abgewinnen können. Auch das bei Schumann in Dresden wieder aufbrechende Interesse am Liedschaffen wird in diesem Band gebührend gewürdigt durch das Einführen übergeordneter Gesichtspunkte: Reflexe der Hebräischen Mythologie nach Byron, zu denen eigentlich auch die Belsazar-Ballade nach Heine gehört hätte (Peter Jost), Reflexe des Dresdener Mai-Aufstands (Hans John) und Reflexe einer christlich-bürgerlichen Sonntagskultur im Liederalbum für die Jugend op. 79 (Christiane Tewinkel).
Wie üblich kommt Clara Schumann in diesem Band als Komponistin zu kurz, obwohl sie in dieser Zeit ihr bedeutendes G-moll-Klaviertrio op. 17 und auch ihre 3 Präludien und Fugen für Pianoforte op. 16 schrieb. Ausführlicher beschrieben finden wir sie in dem Beitrag zu ihrem Bruder Alwin Wieck (Cathleen Köckritz), sonst als Mutter und als enttäuschte Pianistin in Wien, die an ihre früheren Erfolge nicht wieder anknüpfen kann, und als energische aber erfolglose Konzertveranstalterin, die sich mit dem zopfigen Dresdener Trott nicht abfinden will (Gerd Neuhaus).
Und so ist dieser Band im Guten wie im noch Wünschenswerten ein getreuliches Abbild des heutigen Stands der Schumann-Forschung, die, wie es der Titel des Symposiums andeutete, nur eine Forschung über beide Schumanns sein kann und die als solche gute Jahre nicht erst, sondern auch noch vor sich hat. (Inhaltsverzeichnis)

Peter Sühring
Berlin, Dezember 2011
Zuerst veröffentlicht in Mf 2012, S. 284f.

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