Arche Musik Kalender 2015. Musiker & die Natur [Peter Sühring]

Arche Musik Kalender 2015. Musiker & die Natur / Gestaltung: Max Bartholl, Textauswahl und Bildlegenden: Elisabeth Raabe, Fotoauswahl, Regina Vitali, Biografien: Melanie Unseld. – Zürich: Arche Kalender-Verlag, 2014. – 53 Bl.: 53 Abb.
ISBN 3978-3-0347-8015-5 : € 22,00

Je gewaltiger das Thema – und wer würde leugnen wollen, dass „Musik und Natur“ ein gewaltiges Thema ist? – desto bescheidener die Äußerungen. So ist der erste und abschließende Eindruck nach der Durchsicht der Wochenblätter des Arche Musik-Kalenders für das kommende Jahr. Nicht nur das Naheliegende wurde hier ergriffen (vielmehr wurde es geradezu vermieden), sondern lange und gründlich nach Unbekanntem, Vergessenem und Fernliegendem gesucht. Nicht immer zum lohnenden Vorteil für den Leser und Betrachter, der eine Woche lang mit einem vorgeblich sinnigen Ausspruch eines Musikers zur Natur oder seinem Konterfei an der Wand der Küche oder (sofern vorhanden) des Musikzimmers leben soll. Ein Schwerpunkt liegt dankenswerterweise auf ausführenden Musikern, denen die Nachwelt bekanntlich nicht lange Kränze flicht, und – wie sollte es bei diesen Autorinnen anders sein? – auf deren vernachlässigtem weiblichem Teil. Viele neue Unbekannte also, die man hier ein bisschen kennenlernen kann.
Musiker und die Natur: Glücklicherweise ohne die geradezu abgedroschenen Jahreszeiten der Herren Vivaldi und Haydn oder andere Dauerbrenner aus dem Revier naturnachahmender Programmmusiken, also auch ohne das Alpenglühn, das ewige Eis und das Kuhglockengeläut von Richard Strauss. Danke für diese Lücken! Andere Lücken sind bedenklich, beispielsweise die, dass das Verhältnis der Musiker zur Natur nicht anhand dessen, was die Natur von sich aus für die Tonwelt zur Verfügung stellt, mithilfe pointierter Äußerungen erörtert wurde. Was machen Musiker mit der Unordnung in der Natur bezogen auf Teilungen der Oktave in Tonleitern, auf Tongeschlechter und auf Tonarten, welche man nur mithilfe einer künstlich wohltemperierten Stimmung der Instrumente ausgleichend ordnen kann, damit es dem menschlichen Gehör gefällt? Erinnerungen daran, wie Bach mit seinem Wohltemperierten Clavier versuchte, den „Teufel in der Musik“, der ein Naturphänomen ist, auszutreiben, oder wie lange nach ihm doch Hindemith den lieben Gott in der Musik vertonen wollte, weil er wieder an eine „Harmonie der Sphären“ glauben konnte. Das wären auch ganz hübsche Beispiele zum Thema gewesen, das ein etwas weiteres Feld zu sein scheint, als dieser Kalender abbilden will.
Der leichtere, weniger tragische oder komplizierte Teil dieses Themas sind natürlich die idyllischen und intimen Bekenntnisse von Musikern, wenn sie sich in Briefen oder Interviews als naturliebend oder in ihrem Schöpfertum als naturabhängig schildern. Viel Anekdotisches und Pastorales kommt hier zum Zuge. Diesem Kalender fehlt erfreulicherweise auch das Pathos eines „Zurück zur Natur!“ Oder eines neuen natürlichen Menschentums wie bei Wagner. Totalitarismus und Sektierertum sind hier aussortiert. Das ist zwar gut so, aber manchmal rutscht die Auswahl stattdessen ins Beflissene, Betuliche und Banale ab. Man staunt über die Sprach- und Ideenlosigkeit manchen Musikers. Kaum ein Klischee wird ausgelassen. Sopranistinnen singen wie? Wie Nachtigallen natürlich. Die Bildlegenden weisen selbst auf solche nur bedingt lehrreichen oder unterhaltsamen Stereotypen und Topoi hin. Auch die Natur des Menschen, die so genannte innere Natur, der Musiker angeblich so nahe stehen sollen, kommt vor. Einmal nur werden die Natur und eine ihrer Erscheinungen verflucht: Erik Satie findet im Übergang vom Juni zum Juli, dass es eine Schande sei, wie die Sonne aussieht (wie ein großes Kalb nämlich und mit einem Kopf von einem roten Hahn), eine Nervensäge sei sie und ein Trampel. Er musste es wissen: er machte ja auch so wunderbar tierische Musik.

Peter Sühring
Berlin, 17.10.2014

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