Karl Bruckmaier: The Story of Pop [Michael Stapper]

Bruckmaier, Karl: The Story of Pop. Fotografien von Olaf Unverzart. – Hamburg: Murmann, 2014. – 352 S.: zahlr. Farb-/S-W-Fotografien
ISBN 978-3-86774-338-9 : € 29,99 (Hardcover)

Dieses Buch gehört zu jenen, die – ich muss es so unvermittelt voranstellen – bei mir als Leser und Rezensenten eine gewisse Ratlosigkeit verursachen. Eine Verlegenheit, die mich zwingt, Farbe zu bekennen: Ich weiß nicht, was ich von dem Buch halten soll! Deshalb muss ich den folgenden Text in der ersten Person Singular schreiben, hinter einem anonymen Publikum oder dem beliebten Pronomen „man“ darf ich mich nicht verstecken. Auf die beliebte Fragestellung „Kunst oder Krempel?“ sollen diese einleitenden Worte jedoch nicht hinauslaufen. Der Kunstbegriff in der Popmusik ist ohnehin problematisch, aber für Krempel oder Augenwischerei halte ich Bruckmaiers Betrachtungen sicherlich nicht. Es fällt mir jedoch schlichtweg schwer, diese Publikation angemessen einzuordnen, zu beschreiben und zu bewerten – schließlich sollte das ja Sinn einer Rezension sein.
Worüber und wie schreibt der Autor? Karl Bruckmaier, den ich als Journalisten (u. a. bei der Süddeutschen Zeitung) sehr schätze und dessen Fachwissen außer Frage steht, hat mit The Story of Pop einen Beitrag zur popmusikalischen Geschichtsschreibung veröffentlicht. In über 60 recht knappen Kapiteln seziert er die Historie, setzt einen Anfang im Kalifat von Córdoba um die ersten Jahrtausendwende, widmet sich ausgiebig dem unsäglich mörderischen Sklavenhandel mit seinen Auswirkungen auf die amerikanische Kultur, verweilt lange in der Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert und beschließt das Buch und die jüngere Popgeschichte im Zeitraffer. Umfassend ist dieser Blick nicht. Im Gegenteil: Bewusst fragmentarisch greift Bruckmaier einzelne Themen oder Biografien auf und verdichtet sie in den kurzen Essays. Seine Auswahl ist dabei zumindest teilweise außergewöhnlich: Ein Kapitel Irving Berlin zu widmen, leuchtet mir schnell ein. Bei John Hammond aber muss ich nachschlagen und –lesen, bevor mir dessen Verdienste als Talentscout (für so unterschiedliche Künstler wie Billie Holiday und Bob Dylan) bewusst werden. Bei Hugh Heffner oder Shoe Taylor ist mir der Grund für die literarische Würdigung bislang noch nicht so klar. Bruckmaiers Vorgehen erinnert an den Versuch, ein Cover-Album bekannter Hits zu einzuspielen, ohne dabei die Melodiestimme zu verwenden. Das funktioniert, weil sich Bruckmaier auf das kollektive Wissen über die Popgeschichte verlassen kann.
Trotz der Fragmentierung verzichtet Bruckmaier jedoch nicht auf eine ausgeprägte Leitmotivik. Diese ist mal plakativ wie die omnipräsente Trommel als Symbolbild für populäre Musik, dann aber auch dicht mit seiner Beweisführung verbunden, dass jeglicher Pop immer auf das Ineinanderfließen verschiedener Traditionslinien zurückzuführen ist. Als Belege können hier seine Ausführungen zur Authentizität und Mythenbildung (S. 142ff) oder die vier herausragenden Betrachtungen zum Jahr 1968 aus brasilianischer, tschechischer, amerikanischer und deutscher Sicht gelten (S. 289ff).
Bleiben die sprachlichen Herausforderungen. Bruckmaier liebt Zitate, Referenzen, fremdsprachige Begriffe, Gedankensprünge. Seine Abneigung gegen stilistische Plattitüden ist offensichtlich. Dass der Autor im Vorwort Nik Cohns Standardwerk Awopbopaloobop Alopbamboom als Vorbild rühmt, hätte mich darauf vorbereiten können. Trotzdem schwanke ich beim Lesen zwischen der Freude über unkonventionelle Sprachbilder (Brian Eno ist die „Alessi-Pfeffermühle des Pop“, S. 268) und dem Bedürfnis, einzelne Thesen verstehen zu wollen oder durch die Zuhilfenahme von bibliografischen Verweisen überprüfen und einordnen zu können … aber was schreibe ich hier eigentlich? Genau das hat Karl Bruckmaier schließlich nicht gewollt: „Zur Hölle mit Fußnoten, nieder mit Literaturlisten. Ich will ja keine gute Zensur von Ihnen (…). Ich möchte, dass Sie sich (…) ein Glas Wein einschenken und sich von mir zutexten lassen (…).“ (Vorwort, S. 14).
Also gut. Mache ich. Und schaue mir auch gleich dazu das Kapitel „Trying to dance“ an, das ausschließlich aus Fotografien von Olaf Unverzart besteht (S. 225ff).
In einem Artikel des SZ-Magazins schrieb ein Kollege von Karl Bruckmaier kürzlich über seinen Unmut, einen Film sofort nach dem Abspann beurteilen zu müssen: „Warum muss man immer gleich zu allem eine Meinung haben?“ (12.09.2014, S. 40). Diese Haltung mache ich mir in diesem Fall gerne zu Eigen. Ich schließe das Buch und lasse es eine Zeit lang auf mich wirken. In der Zwischenzeit empfehle ich jedem potentiellen Leser, sich eine eigene Meinung zu bilden. Das Buch ist es wert.

Michael Stapper
München, 17.09.2014

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