Karla Kuskin: Das Orchester zieht sich an. Musik: M.F. Lange (CD)

Kuskin, Karla: Das Orchester zieht sich an. Musik von Marius Felix Lange. / Eine musikalische Lesung mit Christian Brückner u. d. Gürzenich-Orchester Köln. Ltg.: Markus Stenz. – München: cbj audio, 2009. – Audio-CD; inkl. Booklet (6 S.)
ISBN 978-3-8371-0035-8 : € 12,95 (1 CD : 29 Min.)

Wenn Arbeitnehmer unter der Übermacht des Chefs stöhnen, raten Hobbypsychologen, sich diesen in Unterhosen vorzustellen. Solch ein ernüchternder Vorschlag ließe sich auch auf andere Berufsgruppen wie Ärzte und Polizisten anwenden, vor denen das gemeine Volk bisweilen ehrfurchtsvoll erstarrt. Und mancher Musiker, der sich seiner Genialität gerne durch Gestik und Habitus vergewissert, würde durch die Entkleidung bis zu den geblümten Shorts auf ein gesundes Normalmaß zurechtgestutzt werden. Es mag dieser Gedanke gewesen sein, der Karla Kuskin 1982 bewogen hat, die Mitglieder eines respektablen Orchesters solchermaßen zu präsentieren: Zusammen mit dem Zeichner Marc Simont schuf sie mit Das Orchester zieht sich an ein preisgekröntes kleines Meisterwerk.
2008 erschien im Carl Hanser-Verlag eine Neuauflage dieses Büchleins [Rez. s. FM 29 (2008), S. 380f.]. Nun nahm sich der Jugendbuchverlag cbj (Random House) der Kleiderprobe mit einer Hörbuchfassung an. Bei dieser Information zuckte der Rezensent: Kuskins nüchtern-ironischen, von Saskia Heintz behutsam übersetzten Text kann man sich vorgelesen vorstellen. Aber wie soll das mit den genialen Miniaturen von Simont funktionieren? Mit diesen liebevoll-satirischen Zeichnungen, die auch vor Schmerbäuchen und Hüftproblemen nicht zurückschrecken? Zugegebenermaßen hielt dieses Vorurteil eine CD-Länge an; der Verlust der visuellen Komponente wog schwer. Doch der zweite Eindruck brachte die Wende. Dies ist zum einen Christian Brückner zu verdanken. Der zu den profiliertesten Vertretern seines Fachs gehörende Synchronsprecher (v.a. als deutsche Stimme von Robert De Niro) ist schlichtweg grandios. Kaum zu glauben, welchen Gestaltungsspielraum sich Brückner bei dem relativ schlichten Text (keine Relativsätze oder direkte Rede) schafft und wie er diesen durch Betonung und Phrasierung in enger Abstimmung mit der Musik zum Leben erweckt. Und hier kommt der für die gelungene Hörbuchfassung ebenfalls Verantwortliche ins Spiel: Marius Felix Lange. Der Komponist, dessen Filmschaffen (u.a. Wilsberg, Neger, Neger, Schornsteinfeger) manchem TV-Liebhaber nicht unbekannt sein dürfte, hat den Text mit einer treffsicheren und witzigen Musik unterlegt, die Simonts Charakterstudien kongenial ins Akustische übertragen. Ein musikalischer Erneuerer bricht sich hier keine Bahn. Doch es ist ein Kenner und Könner, der Gershwin, Ravel und das klassische Hollywood-Musical zitiert, um schlussends in einer virtuos wirbelnden Symphonie der Wiener Klassik zu landen, die dort ansetzt, wo bei Kuskin und Simont der Vorhang fällt. Auch dies eine reizende Idee, die vom Gürzenich-Orchester unter Markus Stenz mit hörbarer Spiellaune und Präzision umgesetzt wird.

Michael Stapper
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 380f.

 

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