Sabine Meine: Die Frottola. Musik, Diskurs und Spiel an italienischen Höfen 1500‑1530 [Peter Sühring]

Meine, Sabine: Die Frottola. Musik, Diskurs und Spiel an italienischen Höfen 1500‑1530 – Tornhout: Brepols, 2013. – 430 S.: Abb., Notenbsp. (Collection Épitome musical)
ISBN 978-2-503-54880-7 : € 100,00 (kt.)

Hier liegt eine der wenigen hervorragenden multiperspektivischen Arbeiten vor, die glücklicherweise auch in der Musikologie immer häufiger werden und der gesamten deutschen Fachwissenschaft der Musik zum Vorteil gereichen können. Denn die Binsenweisheit, dass auch Musik in allgemeiner Kulturgeschichte eingebettet liegt und diverse Beziehungen zur Sprache, zum Tanz, zu höfischen und popularen Lebensweisen unterhält, wird zwar gerne beteuert, selten aber detailliert und konkret ausgeführt. Sieht man einmal von solchen Wortungetümen wie „frottoleske Diskursivität“ oder „Gendering der Gattung“ ab, so bewegt sich die Darstellung terminologisch und stilistisch im Rahmen einer wissenschaftlichen Prosa, die extreme Verunstaltungen der deutschen Sprache weitgehend vermeiden kann. Und das ist für eine Habilitationsschrift, wie die hier vorliegende eine ist, schon viel gesagt.
Mit der gegen Ende des 15. Jahrhunderts neuesten Liedgattung der Frottolen befreite nicht nur der Trombone-Spieler Tromboncini am Mantuanischen Hof die stolze Marquesa Isabella d’Este, deren Leitspruch „Weder Furcht noch Hoffnung“ lautete, bei ihren Auftritten als Sängerin von dem Zwang zur Improvisation. Auch Lucrezia Borgia in Ferrara nahm andere Dichtermusiker unter weibliche Patronage und überhaupt: ziemlich breit hatten sich die besten Dichter Italiens aufgemacht, die Vormachtstellung der französischen Chanson, die sie durch die herrschende polyphone Technik der franco-flämischen Dichterkomponisten auch in Italien errungen hatte, zu brechen; sie fingen an, volkssprachliche Verse zu dichten (andere als die bisherigen Ballate), welche neuen Strophen-, Silben- und Reimschemata folgten, um eine ebenso neuartige wie kurzlebige Art der poesia in musica zu kreieren. Die Frottola wirkte tatsächlich wie eine frotta: wie eine Schar oder ein Schwarm von Stimmen und Versen, wohlgebaut und trotzdem sonderbar. Manchmal etwas kompliziert als frotta barzellata: dreiteilig mit Ripresa, Mutazione und Volta, wobei jeder Teil eine andere Reimordnung und andere Silbenzählung hat, manchmal auch als einfaches Strophenlied. Es ist ein besonderes Verdienst von Meines auch philologisch akzentuierter Arbeit, die besonderen Wort-Ton Verhältnisse während dieses Prozesses zu analysieren. In den ausdifferenzierteren Stücken liegt die Melodiestimme dominant oben, ein Bass grundiert sie und dazwischen setzen sukzessiv Alt- und Tenorstimme ein, letztere hat ihre Rolle als beherrschender Ténor nun endlich ausgespielt. Wie die Stimmen, die vorwiegend in gleichem Metrum und Rhythmus wie die Melodiestimme voranschreiten, ausgefüllt wurden, blieb der Phantasie und der zufälligen oder absichtlichen Zusammensetzung der Spieler vorbehalten. Tromboncino hätte sich oder seine Fürstin, die Stimmen spontan intavolierend, auf der Laute begleiten können, sogar vierstimmiger Gesang nach dem Text der Oberstimme wäre denkbar gewesen, oft aber nahm man ein Streicher- oder Bläserconsort oder mischte sie und begleitete dreistimmig eine Sängerin. Viele dieser nicht immer rein musikalisch motivierten „Inszenierungsstrategien“ an italienischen Höfen des frühen 16. Jahrhunderts werden hier in all ihren Aspekten geschildert. Auch die Rolle der Frottala bei der Durchsetzung der Literatursprache zur Volkssprache, damit der Konstitution des Italienischen wie wir es heute kennen, wird beleuchtet.
Und so gelingt der Autorin, derzeit Direktorin des deutschen Studienzentrums Venedig, eine sehr komplexe, der Vielseitigkeit ihres Gegenstandes gerecht werdende Darstellung der Frottola als einer Übergangserscheinung zwischen der monodischen Ballata und dem mehrstimmigen Madrigal, die auf lange Sicht die Interpretation dieses Phänomens bestimmen wird.

Peter Sühring
Berlin, 23.06.2014

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