Michael Jackson 1958-2009: Eine Auswahl an Neuerscheinungen anläßlich seines Todes

Heatley, Michael: Michael Jackson 1958–2009. Die Legende. / Aus d. Engl. von Violeta Georgieva Vasileva Topalova. – Höfen: Hannibal, 2009. – 192 S.: kompl. ill. (Originalausg.: Michael Jackson 1958–2009. The Life Of A Legend)
ISBN 978-3-85445-314-7 : € 24,95 (geb.)

Runkel, Pamela und Ralf Krämer: Remember the Time. Michael Jackson. Erinnerungen an den King of Pop. – Köln: Helmut Lingen, 2009. – 128 S.: kompl. ill.
ISBN 9783-938323-99-1 : € 12,95 (geb.)

Hildegard Anderson: Michael Jackson 1958–2009 / Hrsg. von Robert Sullivan. – München: Knesebeck, 2009. – 80 S.: kompl. ill. (Originalausg.: LIFE: Michael 1958–2009)
ISBN 978-3-86873-195-8 : € 16,95 (geb.)

Jackson, Joseph: Die Jacksons. / Aus d. Engl. übers. von Theda Krohm-Linke. – München: Blanvalet, 2009. – 255 S.
ISBN 978-3-422-36379-7 : € 9,95 (kart.)

Schurr, Monika Elisa: Michael Jackson – Sad. Leben in Licht und Schatten. Sprecher: Simon Roden. – Köln: Navarra, 2009.
ISBN 978-3-86908-102-1 : € 7,95 (1 CD: 73 Min.)

Michael Jackson. King of Pop 1958–2009. Official 16 Month Calendar 2009–2010. Herts: Danilo, 2009. – 13 S. (29,7 × 43 cm), kompl. ill. (Vertrieb: Heye Verlag, Unterhaching)
ISBN 978-3-831899-142 : € 12,95

Was gibt’s Neues in der Sache Jackson? Zu viel, legt einem die Stimme der Versuchung nahe. Und tatsächlich scheint ein Sättigungsgrad erreicht zu sein. Nach der nur kurzen Schockstarre, die der Tod des Künstlers ausgelöst hatte, kam es zu den in solchen Fällen üblichen Lobeshymnen. Es folgten, ebenso unweigerlich, Gerüchte, Halbwahrheiten und Lügen, die von unehelichen Kindern oder homosexuellen Liebespartnern in Umlauf gebracht wurden. Dieses Geschwätz mochte man noch angewidert oder amüsiert zur Kenntnis genommen haben; Ernüchterung aber machte sich spätestens bei dem geplatzten Gedächtniskonzert in Wien breit, bei dem es nicht gelang, Jacksons prominente Kollegen auf der Bühne zu versammeln. Bevor der Dokumentarfilm Michael Jackson’s This Is It über die letzten Tage des Künstlers in die Kinos kommt, ist es also an der Zeit, Boulevardblätter und Chartstabellen beiseite zu legen und sich den literarischen Erzeugnissen der letzten Monate zu widmen.

Über Hanspeter Künzlers Buch Black and White ist an dieser Stelle schon berichtet worden [Rez. s. FM 30 (2009), S. 271f.]. Dem Hannibal-Verlag gelang der Coup, die für die Comebacktournee geplante Veröffentlichung kurzfristig zu überarbeiten und somit die erste aktualisierte Biografie auf den Markt zu werfen. Mit Michael Heatleys Bildband Michael Jackson – Die Legende legt der Höfener Verlag eine weitere Publikation vor. Die Nennung des Autors auf der Titelseite und eine Kurzbiografie auf dem Schutzumschlag suggerieren einen gewichtigen Textanteil. Und in der Tat sind es nicht nur die optischen Reize, die für die Lektüre sprechen – auch wenn einzelne Textfehler, beispielsweise die Nennung des falschen Todesmonats in der Einleitung (S. 6), ärgerlich sein mögen. Zwar gelingt es dem Autor nicht, trotz des großzügig zur Verfügung stehenden Textraumes der komplexen Biografie Jacksons viel mehr als die bereits bekannten Fakten abzugewinnen, das Buch weist aber zahlreiche Zusatzinformationen auf (Diskografie, Timeline), die es über den Status eines bloßen Bildbandes mit Begleittexten hinausheben. Die inhaltliche Struktur entspricht der offiziellen Lesart: Den Erfolgen der Geschwistertruppe Jackson 5 folgt die atemberaubende Solokarriere; eine nachlassende Studiokreativität wird durch grandiose Bühnenshows ersetzt; übrig bleibt ein durch Skandale und Gerüchte verunsicherter Künstler, der es durch sein Comeback fast, durch den Tod aber mit Sicherheit geschafft hat, als Popphönix der irdischen Asche zu entschweben. In der grafischen Umsetzung gibt es Parallelen zu der Veröffentlichung aus dem Lingen-Verlag: Es wechseln sich groß- mit kleinformatigen Fotos ab, dazwischen gibt es Einklinker, freigestellte Porträts und Fotomontagen. Das Layout erscheint organischer als beim Lingen-Bildband, in dem die verschiedenen Text- und Bildelemente härter nebeneinandergestellt wurden. Hervorzuheben ist (wie bei Lingen) die Diskografie, die jedoch nicht in den Anhang verschoben, sondern in den Fließtext integriert wird. Hier hat der Autor dankenswerterweise nicht nur die Trackliste mit Komponistenangaben aufgeführt, sondern erwähnt nach kurzen Einleitungstexten auch Singleauskopplungen und Auszeichnungen. Vorbildlich ist ebenso die sich über sechs Seiten erstreckende bebilderte Zeitleiste, die in einer grafisch ansprechenden Art die wichtigsten Ereignisse aus Jacksons Leben zusammenführt. Ausführliche Bildnachweise und ein Index runden die gelungene Veröffentlichung ab.

Weiter geht es mit der schon erwähnten großflächig bebilderten Lebensgeschichte, die beim Kölner Helmut Lingen-Verlag unter dem Titel Remember the Time erschienen ist. Auf 127 Seiten begeben sich die Herausgeber auf eine Zeitreise in die Jackson-Historie, angefangen von den ehrgeizigen Anfängen in Gary, Indiana, über die farbenfrohen, zutiefst in der damaligen Zeit verhafteten Modesünden der Jackson 5 bis in die überlebensgroße Superstarsphäre der 1980er und 1990er Jahre. Dass einer der Hauptaspekte auf den aktuellen Trauerfeierlichkeiten liegt, ist nachvollziehbar. Die Texte können den durchwegs guten Qualitätsstandard der Fotos nicht immer halten. Auch wenn es sich um ein Erinnerungs- und kein Enthüllungsbuch handelt, hätten die bekannten Fakten mancher Textpassagen in stilistischer und inhaltlicher Hinsicht noch etwas reifen können. So wird im Vorwort der „Privatgelehrte Mike Herting“ zitiert. Sollte es sich hierbei um den nicht unbekannten Jazzmusiker, Komponisten und Produzenten handeln, hätte man ihn auch als solchen titulieren können, anstatt die oben genannte angegraute Berufsbezeichnung zu wählen. Auch erscheint es fragwürdig, Jacksons Genialität mit einer Bemerkung von James Last zu belegen, Letzterer habe mal ein Lied des Popkünstlers arrangiert. Positiv zu vermerken ist dagegen, dass mit einem Kapitel über Jacksons Beziehungen zu Deutschland thematisches Neuland betreten wird. Wie in der Hannibal-Publikation ergänzen auch die Herausgeber des Lingen-Verlags den Hauptteil mit einer Diskografie, die jedoch weniger Inhalte pro Titel listet. Stattdessen fügen sie noch Angaben zu Jacksons Musikvideos und eine Filmografie an.

Einen anderen Ansatz als die zuvor besprochenen Bildbände, die sich einer Würdigung des kompletten Lebens und Schaffens Jacksons verschrieben haben, hat der Knesebeck- Verlag gewählt. Zwar stehen dem Leser nur 80 Seiten in Michael Jackson – 1958–2009 zur Verfügung, das Buch beeindruckt aber gerade durch die thematische Geschlossenheit des Bildmaterials. Hier wurden nicht die weltweit agierenden Fotoagenturen geplündert, sondern die Herausgeber haben sich größtenteils auf Bilder beschränkt, die im Laufe der letzten Jahrzehnte für das amerikanische Fotomagazin Life geschossen wurden. Dadurch sind der Vielfalt natürlich Grenzen gesetzt, die jedoch durch einen intensiveren Blick auf einzelne Situationen wieder wettgemacht werden. Wie bei Fotoshootings für Magazine nicht unüblich, begleiten die Fotografen den Künstler durch den Tag und animieren ihn zum Spiel mit der Kamera, dokumentieren nicht nur Momente, sondern auch Abläufe in Bilderfolgen. Sind Fotograf und Objekt auf der gleichen Wellenlänge, können die Bilder sowohl intim als auch beiläufig wirken. Beides jedoch erzeugt eine Vertrautheit, die sich wiederum auf den Betrachter überträgt. Die Distanz zu verwackelten Schnappschüssen oder professionellen Bühnenfotos wird hier aufgehoben. Kritischer zu betrachten sind die Texte. Ihnen merkt man bisweilen an, dass sie unter Zeitdruck geschrieben wurden. Die Herausgeber selbst sind sich dessen bewusst, betonen sie doch im Vorwort, dass sie auf die Fotos stolz seien, mit den Texten lediglich zufrieden (S. 6). Doch auch trotz mancher stilistischen Unebenheit oder konventioneller Schilderung sind die umfangreichen Bildtexte wertvoller Bestandteil der Publikation. In ihnen werden in erzählerischem Duktus Informationen über Fotografen gegeben, und es bleibt auch Raum für Interpretationen, Fragen und zeitliche Vorgriffe.

Nach der hochglänzenden Bilderflut zur Verherrlichung des King of Pop wünscht man sich als Leser etwas Ruhe. Denn mag es auch unter der Vielzahl der Fotografien einzelne gegeben haben, die einen Blick ins Privatleben des Künstlers andeuteten, so waren auch diese Situationen letztendlich inszeniert. Als viel versprechender Ausgleich mag mit The Jacksons die Autobiografie eines Mannes erscheinen, der an der Karriere Michael Jacksons und der seiner Geschwister erheblichen Anteil hatte: Joseph Jackson, Familienoberhaupt und Manager. Ausgelöst durch die Interviews einiger Jackson-Kinder in der Vergangenheit und durch die Berichterstattung nach dem Tod Michael Jacksons befeuert, hat sich ein Bild Joe Jacksons herausgebildet, das weniger von fürsorglicher Karriereplanung als von ehrgeiziger, bis zur Gewalttätigkeit neigender Dominanz geprägt war. Mit der 2004 erstmalig in Deutschland erschienenen Autobiografie hätte der Autor die Möglichkeit gehabt, dieses Bild zu korrigieren. Diese Gelegenheit hat Joseph Jackson, in aller Offenheit, komplett vergeigt. Sein Lebensbericht ist eine eitle Selbstinszenierung und peinliche Rechtfertigung. Eitel, weil der Autor keine Gelegenheit auslässt, den eigenen Anteil am Erfolg seiner Kinder hervorzuheben; peinlich, weil er ein Bild seiner selbst inszeniert, das knapp an der Heiligenverehrung vorbeischrammt und dadurch seine eigene Glaubwürdigkeit beeinträchtigt. Peinlich auch deswegen, weil Jackson seine Erziehungsmethoden, wegen der er wiederholt in die Kritik gekommen ist, nicht einmal ansatzweise hinterfragt, sondern sich selbst fortwährend pädagogische Absolution erteilt. Jackson präsentiert somit ein solch irreales und groteskes Bild von sich, dass sich Parallelen zur äußeren Erscheinung seines Sohnes schlichtweg aufdrängen: Zwei Männer, getrieben vom Wunsch, sich komplett nach eigenen Vorstellungen zu erschaffen, denen das eigene Image aber immer mehr entgleitet. Wie sehr sich die beiden Jacksons in diesem Punkt ähneln, ist erschreckend. Dass Jacksons Lebensbericht als ernst zu nehmende Quelle fast nicht zu verwenden ist, wiegt um so schwerer, als es sich bei dem Familienpatriarchen tatsächlich um eine außergewöhnliche Person handelt, die aus eigenem Antrieb, sehr planvoll und letztendlich unübertroffen erfolgreich ein Familienunternehmen geschaffen hat. Die Schilderung seiner Kindheit und Jugend, die des jungen Draufgängers in den 1930er und 1940er Jahren, gerät so zum interessantesten Teil der Autobiografie. Hier wirkt er authentisch, auch wenn – oder gerade weil – sein literarisches Handwerkszeug eher schlichter Natur ist.

Die Retrospektive in den Bildbänden und der Scherbenhaufen, den Papa Joe verursacht hat, hinterlassen Spuren. Es wird Zeit für Augenpflege und der Rezensent wendet sich dem einzigen Hörbuch zu, dessen er habhaft werden konnte. Sad – Leben in Licht und Schatten heißt die im Kölner Navarra-Verlag erschienene CD, und sie ist der Beweis dafür, dass sich auch so kurz nach dem Tod des Künstlers und der damit einhergehenden Eile bei der Produktion Entdeckungen machen lassen. Laut eigenem Bekunden auf der Homepage bietet der Verlag „kleine Ohrereignisse, … Wissensbonbons … zu günstigen Preisen“ für die „Zeit zwischendurch“ (www.navarra-verlag.de). Dieses bescheiden formulierte Verlagsziel mag bei anderen Produkten aus dem Haus zutreffen, Sad jedoch sollte nicht nur zwischendurch, sondern bei vollem Bewusstsein genossen werden. Eigentlich handelt es sich hier auch nicht mehr um ein Hörbuch, sondern um einen Hör-Essay, ein oftmals poetischer, dann wieder feuilletonistisch geprägter Text, der seinen Weg zwischen einer wissenschaftlichen Monografie und der Yellow-Press-Berichterstattung sucht und findet. Verantwortlich hierfür ist die Kölner Autorin Monika Elisa Schurr, die – und hier darf man ohne schlechtes Gewissen den treffenden Booklet-Text zitieren – stets bemüht ist, „den Personen auf gedanklich komplexere Weise gerecht zu werden, als es bei einem reinen Abarbeiten von Timelines oder der x-ten Wiederholung eingängiger Klischees der Fall wäre“ (S. 2). Beispielhaft hierfür ist die Introduktion. Der zu oft gestellten Frage, wo man bei Bekanntwerden des Todes von Jackson gewesen sei, stellt Schurr einen anderen Einstieg entgegen. Sie konstatiert einen Beinahe-Zusammenbruch des Internets ob der vielen Zugriffe, ein Innehalten, ein Standbild, und schlussfolgert daraus die enorme Bedeutung, die der Sänger immer noch gehabt hat. Ihre Deutung geht weiter: Zusätzlich zu den Tränen der Trauer stellt sie solche der Erleichterung fest. Erleichterung bei denen, die den immer schmerzhafter werdenden Spagat zwischen musikalischer Genialität und persönlicher Probleme – und deren medialer Verbreitung – nicht mehr aushielten und im Tod den ultimativen Karriereschritt sahen. Eine solche, Jackson auch Todessehnsucht unterstellende Interpretation ist gewagt. Ebenso gewagt wie der Standpunkt, Michaels Brüder seien bei den Jackson 5 nicht mehr als durchschnittlich talentierte, letztlich aber austauschbare Backgroundtänzer gewesen; oder die Feststellung, dass des kleinen Michaels Ruhm auch ein Resultat pädophiler Tendenzen einzelner Käuferschichten gewesen sei. Schurr ist sicherlich nicht die Erste, die solche Gedanken äußert. Indem sie diese aber nicht hinter Verkaufszahlen oder voyeuristischen Blicken versteckt, sondern offen anspricht und hinterfragt, kann sie den Menschen Jackson eindringlicher (und wahrhaftiger? Wer möge das letztlich beurteilen?) beschreiben. Natürlich gelingt dies nur, weil Jacksons Biografie allseits bekannt ist; darauf konnte Schurr aufbauen. Gut, dass sie die Gelegenheit ergriffen hat. Gesprochen wird Sad von Simon Roden, der Distanz hält und so auch der Bedeutungsschwere, die Schurr bisweilen über Wortwahl und Syntax transportiert, ihr Gewicht nimmt. Auch das Sounddesign von Lubomir Slavicek (Studio Tonkult) hält sich angenehm im Hintergrund und illustriert sparsam und stilecht die verschiedenen Kapitel.

Nachdem die Vergangenheit offen liegt, bleibt nur noch ein Blick in die Zukunft. Zumindest ins nächste Jahr, denn so lange wird uns die letzte zu besprechende Publikation begleiten. Im vom Heye-Verlag vertriebenen und von der englischen Firma Danilo herausgegebenen Kalender entzieht sich Michael Jackson ein letztes Mal den Niederungen der Skandale, Anschuldigungen und musikalischen Flops. Hier ist er der strahlende Held und sensible Künstler, der er ja schließlich – es droht mitunter in Vergessenheit zu geraten – in erster Linie war. Neben Konzertfotos und einem Ausschnitt aus dem berühmten Thriller-Cover sind deshalb vor allem Porträtaufnahmen auf den Monatsblättern enthalten. Auffällig hierbei sind die Fotos, auf denen der Künstler ernst und abwesend wirkt, dem Blick der Kamera ausweichend. So, als wolle er demonstrieren, dass es neben dem fröhlichen Kinder- und exaltierten Mega-Star noch einen weiteren Michael Jackson gab. Diese Aufnahmen stimmen nachdenklich, erinnern sie doch auch den Betrachter daran, sein eigenes Jacko-Bild in Frage zu stellen. So kommt es fast einer Erlösung gleich, wenn man auf dem Oktober-Blatt auf einen jungen, gut aussehenden, vor allem aber verschmitzt lächelnden Michael trifft. Auch das war möglich. Ein netter Einfall in dem in Englisch produzierten Kalender ist ein zusätzliches Blatt, auf dem die Tage der verbleibenden vier Monate bis zum Jahreswechsel 2009/2010 gelistet werden. So muss man nicht erst bis zum 1. Januar warten, bevor man mit Michael Jackson das Jahr verbringt.

Michael Stapper
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 372ff.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Jackson, Michael, Rezension abgelegt und mit , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse eine Antwort