Sylvia Kekulé: Die Woodstock Story. Entstehung eines Mythos (1854-1969)

Kekulé, Sylvia: Die Woodstock Story. Entstehung eines Mythos (1854-1969). – München: Allitera, 2009. – 235 S.: 17 s/w-Abb., 10 Farb-Abb.
ISBN 978-3-86906-034-7 : € 19.90 (Pb.)

„Sylvie“, die Person, die Frau Kekulé als Schauspielerin 1970 im filmischen Juwel Rote Sonne verkörperte, überraschte durch unkonventionelles Benehmen. Nun überrascht Frau Kekulé als Autorin mit einem gleichfalls unkonventionellen Buch zu Woodstock. Während andere die Veranstaltung als Wunder oder Waterloo (Titel des Buches v. Jörg Gülden, Rez. s. FM 30 (2009), S. 272f.) bewerten, gelingt Frau Kekulé eine abweichende Sicht. Denn erst nach mehr als 170 Seiten, erst im letzten Viertel geht es um das allseits bekannte Woodstock. Vorher taucht die Autorin tief in die Geschichte des Ortes und einer Region ein, die dem verblüfften Leser als frühes Experimentierfeld gegenkulturellen Lebens und Arbeitens enthüllt wird. Man erfährt, dass dort bereits in den Jahren nach dem Ende des 19. Jahrhunderts eine Kolonie entstand mit deutlich lebensreformatorischen Zügen und inspiriert von Persönlichkeiten, die zu den Vordenkern einer neuen Kunstgewerbe-Bewegung um 1900 gehörten, wie William Morris, der seinerseits von John Ruskin beeinflusst war. Biografische und anekdotische Schilderungen zu beiden Personen sind eingebettet in eine Vielzahl ähnlicher Schilderungen zum Leben und Wirken der Woodstocker Kultur-Kolonisten, deren kommunale Gründungen Namen trugen wie Byrdcliffe, The Blue Dome oder The Maverick.
Das umfangreiche Material, das die Autorin durch Recherche in Archiven, Tagebüchern und Briefen zusammentrug, würde als reine Datensammlung wohl ermüden? Dem tritt Frau Kekulé entgegen, indem sie von den Fakten abstrahierend mit unbändiger Fabulierlust Situationen erdichtet und allzu nüchterne Begebenheiten bildhaft ausschmückt („Ein heiserer Krächzer drang aus ihrer Kehle, dessen aufsteigende Tonfolge an das schrille Gelächter einer Hyäne erinnerte …“, S. 41.). Dies zu lesen macht Spaß, es zeigt sich, dass Die Woodstock Story als informativer, amüsanter Rückblick die ideale Ergänzung zu den übrigen Woodstock-Büchern ist, die oft verbissen analytisch, kritiklos glorifizierend oder destruktiv dekonstruierend daherkommen.
Einzig das Kapitel „Europäische Künstlerkolonien“ enttäuscht, da deren Existenz auf einer halben Seite abgehandelt wird, während der Rest des Kapitels aus Kurzbiografien in Woodstock tätiger Künstler besteht.
Im dritten Teil des Buches geht es schließlich um die Sixties. Indem die Autorin den gesellschaftlichen Kontext skizziert, von McCarthy bis Mondlandung, wird der kulturelle Nährboden deutlich, der zu den Umwälzungen jener Jahre führte. Umgewälzt wurde in den regenverhangenen Tagen des Festivals bekanntlich auch der Schlamm, der sich auf dem Gelände vor der Bühne gebildet hatte. Wer über dies und die Details hinsichtlich der Planung und Realisation des Spektakels ausgiebiger informiert werden will, der ist mit zusätzlicher Lektüre sicher gut beraten.

Manfred Miersch
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 365f.

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