Kurt Palm: Bringt mir die Nudel von Gioachino Rossini. Kein Spaghetti-Western [Andreas Vollberg]

Palm, Kurt: Bringt mir die Nudel von Gioachino Rossini. Kein Spaghetti-Western. – St. Pölten [u.a.]: Residenz, 2014. – 264 S.
ISBN 978-3-7017-1604-3 : € 19,90 (geb.)

Mit dem Schalk im Nacken und mancherlei amourösen Eskapaden hat Gioachino Rossini (1792-1868) das Zeug zur schillernden Romanfigur. Zu diesem Behuf schickt der österreichische Germanist und Regisseur Kurt Palm, Jahrgang 1955, den Großmeister der italienischen Opera buffa und seria auf eine imaginäre Reise in den Wilden Westen: So hat der inzwischen 60-Jährige vom Onkel mütterlicherseits einen Saloon nebst Weideland in Missouri geerbt. Und da dem Wohlsituierten, der als eher konservatives Gemüt die Bologneser Revolutionäre geflohen hat, nun in Florenz die Langeweile zu schaffen macht und seine zweite Ehe eine Auszeit vertragen kann, mischt er sich unter diejenigen, die „vor Hunger und Krieg aus Europa geflüchtet“ waren und „jetzt in der Neuen Welt ihrem Glück entgegen“ (S. 27) hetzten.
Während der inkognito Reisende nach dramatischer Atlantikfahrt und Zwischenstopp im New Yorker Heydman’s Hotel schon die härteren Bandagen des amerikanischen Geschäftsbetriebs zu spüren bekommt, braut sich am Zielort Poplar Bluff ein brutaler Nachbarschaftskrieg um ein Filetstück aus Rossinis Erbmasse zusammen: Devil’s Well, eine Wasserquelle, zwecks deren Annexion dem versessenen Rinderpotentaten Whip Fletcher kein Mittel unheilig genug sein kann, zumal sie auch seinen angestammten Feinden Myra und Lucie, einem lesbischen Schafzüchterduo, die Existenz sichert. Bevor es final zur Eskalation kommt, steht dem Maestro, allein kutschierend auf einem gebrauchten Conestoga Wagon, noch ein mehrtägiger Spießrutenlauf gen Westen bevor.
Zunächst erhält er in der Metropole Audienz bei dem 103-jährigen Lorenzo da Ponte, nun sarkastisch über Kollege Mozart herziehender Patriarch einer Pizza-Kette. Dann stellen erste Interventionen durch Religionsvertreter und Eingeborene Rossinis Organisationstalent auf den Prüfstand. Unfreiwillig liest der Menschenfreund schließlich ein exotisches Trio von der Straße auf: einen ausgeraubten Inder, der für sein Land die amerikanische Baumwollindustrie studieren wollte, einen entlaufenen Sklaven, der einen Weg und Schutzbrief in die Freiheit ersehnt, sowie einen durch die weiße Besiedlungspolitik drangsalierten Indianer.
Blickt man auf Palms persiflierende Titelgebung, überrascht zunächst sein schlicht lakonischer, geradezu konventionell und moderat parlierender Erzählfluss. Doch der harmlose Schein trügt mehrfach: Unversehens schwenkt der Blick auf Allzumenschliches auch unter den Gürtellinien. Und mag Palms fiktiver Rossini dank nostalgischer Reminiszenzen ans Liebes- und Opernleben mit dem realen kompatibel sein, so verlagern Schmäh und Westernflair den Appeal vom biographischen Motiv auf einen tragischen Kern: die verstörende Konfrontation eines mitteleuropäischen Arrivierten mit den ethnisch-politischen, kulturell-sozialen Konfliktfeldern in der fernen Neuen Welt des 19. Jahrhunderts – wenngleich der Schalk im Nacken überlebt.

Andreas Vollberg
Köln, 16.02.2014

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Da Ponte, Lorenzo (1749-1838), Komponist, Rezension, Rossini, Gioachino (1792-1868) abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.