Berlin 06.12.2013-27.04.2014: Valve.Brass.Music. 200 Jahre Ventilblasinstrumente (Ausstellung) [Peter Sühring]

Nie mehr ohne Ventile!
Ausstellung und Konzerte zu „200 Jahre Ventilblasinstrumente“ im Berliner Musikinstrumentenmuseum vom 6. Dez. 2013 bis 27. April 2014

Ein Doppeljubiläum macht es möglich zum vielleicht ungeliebten Schall von Musik auf Blechblasinstrumenten, die alles andere als blechern klingt, ein neues Verhältnis zu gewinnen. Das vor 125 Jahren gegründete Berliner Musikinstrumentenmuseum (MIM) erinnert daran: Vor 200 Jahren erfand der preußische Militärmusiker Heinrich Stölzel das Ventil für ein Waldhorn (dessen Errungenschaften in Zukunft auf Kornette, Hörner, Posaunen und Trompeten aller Art ausgedehnt werden sollten), meldete es seinem König und leitete damit eine Revolutionierung der gesamten Blasmusik ein. Denn erst seit 200 Jahren sind die Blechbläser in der Lage, chromatisch zu spielen und sich in die temperierte Stimmung eines größeren Orchesters einzupassen. Wie immer in solchen Fällen von Erfindungen, die quasi in der Luft liegen, gab es Streitigkeiten um das Erstgeburtsrecht und um Patentierungen. Aber die Folge der Generationen von Instrumentenbauern von Stölzel über Wilhelm Wieprecht, Moritz bis Adolphe Sax ist lang und differenziert, und die Veranstalter dieser Ausstellung, die MIM-Direktorin Conny Restle und Christian Breternitz kennen ihre Namen und technischen Neuerungen wie ihre Westentasche. Jeder Besucher dieser Ausstellung wird von ihrem Wissen und dem weiterer Sammler und Spezialisten, die im Katalog zu Wort kommen, profitieren und vielleicht seine Stellung zu diesem skurril-monströsem Instrumenten-Arsenal etwas verändern.
Zarte Trompeten-Kantilenen wie man sie bei Puccini hören kann, dürften die Ausnahme dessen sein, was man auf dem vielfältig geformten spitz-runden Blech zu hören bekommen kann. Jede Erfindung hat ihr Vorspiel, und so stechen zwei „Tastentrompeten“ hervor, auf denen vor der Erfindung der Ventile die berühmten Konzerte Haydns und Hummels ursprünglich gespielt wurden. Das Blasen der hintergründig erschallenden, den Tyrann Pizarro in die Knie zwingenden, von Beethoven so raffiniert komponierten Freiheitsfanfare zwang nun nicht mehr zum Verlassen des Orchestergrabens, denn man hatte nun eine „Echotrompete“, die den gedämpften, wie von fern her wirkenden Klang per zweitem Ventilgang gleich mitlieferte. Alle sagenumwobenen weiteren Monstren aus einem imaginären instrumentengeschichtlichen Panoptikum können hier real bestaunt werden. Außer den Wagner-Tuben werden sie heute kaum noch eingesetzt. Oder hat man in einem regulären Konzert schon mal die von Mendelssohn für seine Sommernachtstraummusik gewünschte Ophikleïde, hat man die Aida-Trompeten Verdis oder die ebenfalls von Verdi für sein Requiem gewünschten Ventilposaunen je gehört und gesehen? Hier hängen sie zwar passiv und stumm an den Ausstellungswänden und werfen imposante Schatten, werden aber auf einem stundenlangen Audioguide in Tonbeispielen zum Klingen gebracht, so dass man die ganze Vielfalt und die Klangräusche der hier versammelten geballten Blechmusikladung während eines einzigen Besuchs kaum wird ausschöpfen können. Das ganze klassisch-romantische Kernrepertoire wäre ohne die in dieser einmaligen Schau gebündelt präsentierten Instrumentenfamilien gar nicht denkbar. Vermutlich wusste Hector Berlioz mit diesem Arsenal am besten umzugehen, ihre volle und auch subtile Pracht entfaltet sich aber eher in in Deutschland wenig gespielten Werken wie La Damnation de Faust oder (Weihnachten naht!) L’Enfance du Christ. Was man in einem modern standardisierten Orchester heute zu hören und zu sehen bekommt ist ein blasser Abklatsch des hier ausgestellten Reichtums, zu dem immer auch bestimmte Werke der Musikgeschichte sich imaginär zugesellen können. Berlin ist also wieder mal eine Reise wert, auch weil die Bilder und Exponate dieser Ausstellung nicht nur den Fundus des Berliner Museums, sondern auch imposante Einzelstücke aus privaten und öffentlichen Sammlungen in der Schweiz, in Italien, Großbritannien und den USA zum Besten geben.

Adresse, Öffnungszeiten und weitere Details hier. Zur Ausstellung erschien ein reich bebildeter Katalog:
Valve.Brass.Music. 200 Jahre Ventilblasinstrumente / Hrsg. von Conny Restle und Christian Breternitz – Berlin: Nicolai, 2013. – 232 S.: 400 farb. Abb.; 1 Audio-CD
ISBN 978-3-89479-836-9 : € 39,95 (geb.)

Peter Sühring
Berlin, 07.12.2013

 

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