Nectoux, Jean-Michel: Fauré. Seine Musik. Sein Leben. Die Stimmen des Clair-obscur. Aus dem Franz. von Norbert Kautschitz. – Kassel [u.a.]: Bärenreiter, 2013. – 644 S.: s/w-Abb., Notenbsp.
ISBN 978-3-7618-1877-0 : € 49,95 (geb.)
Wie langsam die deutsche Musikpublikationsindustrie arbeitet, zeigt sich bestens an dem hier vorgelegten Band. 1991 (!) erstmals auf Englisch vorgelegt, erscheint erst mehr als zwanzig Jahre später die längst überfällige deutsche Ausgabe (selbst die italienische Ausgabe erschien bereits 2004). Immerhin basiert sie auf der französischen 2. Auflage von 2008, so dass wir nicht davon sprechen können, es hier mit einem unaktuellen Buch zu tun zu haben. Ohnehin ist Gabriel Fauré (international wie auch in Frankreich) nicht mit allzu vielen Publikationen gesegnet – Nectoux, der bereits 1972 als Mittzwanziger ein Buch über Fauré vorlegte, darf zurzeit wohl als DER Experte weltweit angesehen werden.
Miserable Werbeslogans des Bärenreiter-Verlages beiseite lassend (Nectoux hat Fauré keineswegs neu auf der musikhistorischen Landkarte verortet, das hat die Tonträgerindustrie in den frühen 1980er-Jahren bereits erledigt), können wir feststellen, dass wir hier eine Publikation haben, die, nicht zuletzt durch das stete Schleifen für neue Ausgaben, so gut wie keinerlei Wünsche offen lässt. Manchem Leser mögen die blumigen Kapiteltitel etwas gewöhnungsbedürftig sein, doch das Lesen der zwanzig auf vier Teile verteilten Kapitel zeigt, dass wir es weitgehend mit einem Musterbeispiel der „Leben und Werk“-Komponistenbiografie zu tun haben, die deutsche Musikwissenschaftler zu schreiben seit langem so gut wie aufgegeben haben. Die intime Kenntnis der Fakten spürt man auch unter der Oberfläche, sie wird aber nie Selbstzweck, sondern ist zielgerichtet – auch wenn (was in einer Biografie vollkommen legitim ist) Nectoux bewusst auf eines verzichtet: auf die großflächigere musikhistorische Verortung des Komponisten und seines Schaffens. Einzig die Werkanalysen sind nicht ganz so elegant mit der Biografik verklammert und werden geringfügig weniger präzise formuliert als in englischsprachigen Vergleichspublikationen. Doch sind das zu vernachlässigende Winzigkeiten bei einem Buch, auf das die deutsche Leserschaft wegen seiner Wichtigkeit und der Qualität des Inhalts schon viel zu lange gewartet hat. Norbert Kautschitzs Übersetzung scheint ausgezeichnet, Satz und Layout sind gut lesbar und modern, die 48 Abbildungen hätte man sich aber teilweise großflächiger vorstellen können. Ein knappes Dutzend Anhänge inklusive Registern, Werkverzeichnis und Bibliografie (die aber im Bereich der Sekundärliteratur nicht mehr genügend aktualisiert wurde – das wäre wohl Aufgabe des Lektorats gewesen) lässt ebenfalls kaum Wünsche offen.
Jürgen Schaarwächter
Karlsruhe, 09.10.2013