Martin Pfleiderer: Zwischen Exotismus und Weltmusik. Zur Rezeption asiatischer und afrikanischer Musik im Jazz der 60er und 70er Jahre

Pfleiderer, Martin: Zwischen Exotismus und Weltmusik. Zur Rezeption asiatischer und afrikanischer Musik im Jazz der 60er und 70er Jahre. – Karben: CODA, 1998. – 302 S. (Schriften zur Popularmusikforschung ; 4. Hrsg. von Helmut Rösing in Zusammenarb. mit d. Arbeitskreis Studium Populärer Musik (ASPM) u.d. Musikwiss. Institut d. Univ. Hamburg)
ISBN 3-00-003273-8

Hinter dem 4. Band der Schriftenreihe zur Popularmusikforschung verbirgt sich die Dissertation des Berliner Musikwissenschaftlers Martin Pfleiderer.
Das Thema seiner Studie ist ebenso aktuell wie komplex. Aktuell insbesondere durch einen Begriff, der heute in aller Munde ist: die Weltmusik. So renommierte Musiker wie Paul Simon und Peter Gabriel entdeckten schon vor mehr als zehn Jahren, wie gut sich Elemente aus fremden Musikkulturen vermarkten lassen, und seitdem stürmen Stars aus der sog. Dritten Welt die Pop-Charts.
Doch nicht umsonst wählte der Verfasser die 60er und 70er Jahre für seine Untersuchung aus. Zeichnete sich der Jazz schon immer durch seine Fähigkeit zur Aufnahme fremder musikalischer Elemente aus, so bildete die genannte Zeitspanne einen Höhepunkt im Prozess der Öffnung gegenüber anderen musikalischen Einflüssen.
Pfleiderer beschreibt eingehend das kulturelle und sozialgeschichtliche Umfeld, in de, sich die Rezeption afrikanischer und asiatischer Musik im Jazz vollzog: ob es sich dabei um die Idee des Panafrikanismus handelt, die Rolle von Radio und Schallplatte oder die Hinwendung zu fernöstlichen Glaubensvorstellungen und Religionspraktiken (New Age); um nur einige Aspekte herauszugreifen.
Die Dissertation Martin Pfleiderers resultiert aus einer langjährigen Auseinandersetzung mit den Fusionen von Jazz und nicht-westlicher Musik, insbesondere dem Leben und Werk Don Cherrys. Der 1995 verstorbene Jazztrompeter, Multiinstrumentalist und Weltmusiker war die zentrale Figur einer musikalischen Bewegung, die bestrebt war, “Musiker und Musikformen aus aller Welt zusammenzubringen”, wie Pfleiderer es im Vorwort formuliert. Entsprechend breiten Raum gewährt der Autor dem amerikanischen Musiker.
Der gesamte dritte und letzte Teil des Buches ist Don Cherry vorbehalten. Das Kapitel ist in einzelne Zeitabschnitte unterteilt, die sich an den Kontakten des<Musikers mit asiatischen und afrikanischen Musikformen und den Transformationen seines Personalstils orientieren.
Letztere macht der Verfasser anhand detaillierter musikalischer Analysen deutlich, als deren Basis ihm zahlreiche Platteneinspielungen sowie Rundfunkmitschnitte dienen. Sorgfältig geht Pfleiderer auch auf die Entstehungsbedingungen der Aufnahmen ein. Er berücksichtigt, ob ihnen eine längere Probenphase vorausging, ob sie im Studio oder im privaten Spielkontext entstanden sind, denn solche Faktoren können eine Improvisationsmusik wie den Jazz maßgeblich beeinflussen.
Die beiden vorausgehenden Teile der Studie bereiten diesem zentralen Kapitel sozusagen den Boden. Sie zeichnen die Geschichte der Begegnungen von Jazzmusikern aus Asien und Afrika nach. Hinterließen sie im Jazz zunächst keine bleibenden Spuren, so änderte sich das später, als die Idee einer musikalischen Verständigung zwischen Völkern und Kulturen größere Verbreitung fand. Welche konkreten Verbindungsversuche in den 50er, 60er und 70er Jahren unternommen wurden, legt Pfleiderer im zweiten Teil seiner Arbeit dar. Mit Analysen verschiedener Musikaufnahmen – fremde Skalen und Metren eingeschlossen – sowie zahlreichen Notenbeispielen veranschaulicht er die Ergebnisse der Fusionen.
Abgesehen von solchen Passagen, für deren Verständnis einige fachspezifische Kenntnisse erforderlich sind, ist das Buch auch einem größeren Leserkreis zu empfehlen. Es stellt die Rezeption fremde Musiktraditionen im Jazz in einen größeren musik- und kulturgeschichtlichen Rahmen und rückt die vordergründige Verschmelzungseuphorie vieler Weltmusik-Liebhaber zurecht. Daß es gut lesbar geschrieben ist, verdient gerade bei einer Dissertation besondere Erwähnung.
Hervorzuheben sind auch die mit „Fazit” oder „Zwischenbilanz” überschriebenen Einschübe, die die umfangreichen Informationen noch einmal bündeln. Nützliche Hilfsmittel im Anfang sind ein Glossar mit Fachbegriffen aus nicht-westlichen Musikkulturen sowie ein Verzeichnis der im Text erwähnten Plattenaufnahmen.

Im gleichen Verlag erschienen:
und der Jazz ist nicht von Dauer. Aspekte afro-amerikanischer Musik. Festschrift für Alsons Michael Dauer. Hrsg. von Bern Hoffmann und Helmut Rösing. – Karben: CODA, 1998. – 428 S. (FORUM ; 1)

Friedegard Hürter
Zuerst erschienen in FM 1999

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