Weissweiler, Eva: Komponistinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Weissweiler, Eva: Komponistinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Überarb. Neuausg. – München u. Kassel: dtv und Bärenreiter, 1999
ISBN 3-423-30726-9 / 3-7618-1410-0 : DM 29,90 (Pb.)

Trotz des in den letzten Jahren zu beobachtenden Trends, neben dem eingeschliffenen Kanon der sogenannten “Meisterwerke” sich der ganzen Breite und Vielfalt der Musikgeschichte zu öffnen und bislang wenig gespielte oder gar völlig unbeachtete Werke wiederzubeleben, ist nach wie vor die mangelnde Präsenz komponierender Frauen im Bewußtsein der Öffentlichkeit zu konstatieren. Einzelne Ausnahmen wie Fanny Hensel (allerdings hauptsächlich als Schwester Felix Mendelssohn Bartholdys) oder Hildegard von Bingen, die anläßlich der 900. Wiederkehr ihres Geburtstags 1998 großes Interesse erregte, bestätigen eher die Regel.
Diese Lücke erklärt sich allerdings vor allem aus der bewußten Unterdrückung weiblichen Komponierens über weite Strecken der Geschichte. Sie beginnt – so die These von Weissweiler – beim paulinischen Gebot “mulier taceat in ecclesia”, das jahrhundertelang die Haltung der Kirche gegenüber dem Musizieren von Frauen bestimmte und auf den weltlichen Bereich ausstrahlte. Die Ausblendung gilt aber auch für die Musikwissenschaft, die nach wie vor dazu tendiert, Werke von Frauen zu ignorieren oder anderenfalls ihnen – meist ohne analytische Fundierung – pauschal künstlerischen Wert abzuerkennen.
Zum Gegenbeweis stellt die Autorin in 16 Kapiteln Komponistinnen oder Komponistinnengruppen dar, beginnend bei der Antike und endend bei den Künstlerinnen der Gegenwart, wobei in der Neuausgabe ein Kapitel Komponistinnen im Nationalsozialismus hinzukam und über die Zeit seit 1981 ein neues Kapitel angefügt wurde, dem allerdings streckenweise mehr Distanz zum Stoff gutgetan hätte.
Die einzelnen Kapitel bieten neben kurzen Skizzen der allgemeinen Musikgeschichte biographische Informationen unter besonderer Berücksichtigung der Lebensbedingungen der Komponistinnen und stellen ihre Werke vor, denen häufig Notenbeispiele beigefügt sind. Abgesehen vom Kapitel über die Antike, das aufgrund der insgesamt schlechten Quellenlage häufig auf Deduktionen angewiesen ist, sind die allgemeinen Informationen überwiegend sachlich zusammengefaßt. Die Auswahl der Komponistinnen konzentriert sich auf “besonders exemplarische Lebensgeschichten” (S. 19) und orientiert sich am Vorhandensein von biographischen Materialien und Notenausgaben – dennoch irritiert z.B. das völlige Fehlen eines Namens wie Alma Mahler ein wenig.
Das Literaturverzeichnis, das leider nur mehrfach zitierte Werke enthält (ansonsten sind die Anmerkungsapparate am Ende der einzelnen Kapitel heranzuziehen), wurde um einen zweiten Teil seit Erscheinen der ersten Auflage 1981 ergänzt und umfaßt auch Bücher mit weiter gefaßter Thematik. Wünschenswert wäre hier zusätzlich eine Erschließung nach Personennamen gewesen; angesichts der spärlichen Neuausgaben von einschlägigen Kompositionen hätten auch Hinweise auf neue kritische Editionen, wie z.B. die Motetten Chiara Maria Cozzolanis in der Reihe Recent Researches in the Music of the Baroque Era 87 (Madison, A-R, 1998), die Liste abgerundet.
Neben einer fehlerhaften Kapitelüberschrift (S. 406) fällt ein Druckfehler (“diletantisch”) auf der ersten Seite des durchgesehenen alten Vorworts auf, der in der ersten Ausgabe noch korrekt geschrieben war. Einige Notenbeispiele könnten in größerem Maßstab reproduziert sein; andererseits sind die Vorlagen nachgewiesen.
Die im Vorwort zur Neuauflage gezogene Bilanz nach fast zwanzig Jahren verstärkter Beschäftigung mit weiblichem Komponieren muß zu der Feststellung kommen, daß sich – besonders im Vergleich mit den USA – im deutschsprachigen Raum die (Wahrnehmungs‑)Strukturen noch immer nicht grundlegend geändert haben. Wohl vor diesem Hintergrund erklärt sich die häufig hartnäckig um den Nachweis des Ranges der behandelten Komponistinnen und ihrer Bedeutung für den Verlauf der Musikgeschichte im Ganzen bemühte Darstellungsweise. Dieses Faktum fällt aber weniger auf die Autorin selbst zurück als auf einen Wissenschaftsbetrieb, der eine solche Diktion nach wie vor nötig macht. Gerade ein Buch, das, wie der Untertitel ankündigt, eine “Kultur- und Wirkungsgeschichte in Biographien und Werkbeispielen” sein will, müßte sich mit viel weniger Rechtfertigungsdruck einer Bestandsaufnahme und Darstellung weiblichen Komponierens widmen können. Komponistinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart ist dennoch nach wie vor die einzige deutsche Publikation, die – über lexikalische Zusammenstellungen hinaus – sowohl für ein Fach- als auch ein Laienpublikum einen gut lesbaren Einstieg in dieses interessante Thema bietet und immer noch ‘Aufklärungsarbeit’ leisten kann.

Inga Mai Groote
Zuerst veröffentlicht in FM 1999

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