Christoph Wagner: Der Klang der Revolte – Die magischen Jahre des westdeutschen Musik-Underground [Manfred Miersch]

Wagner, Christoph: Der Klang der Revolte – Die magischen Jahre des westdeutschen Musik-Underground – Mainz: Schott, 2013. – 388 S.: 141 s/w-Abb.
ISBN 978-3-7957-0842-9 : € 24,95 (Pb.)

Der Autor erläutert zu Beginn, dass er sich im vorliegenden Buch darum bemühe, „die Underground-Musik als kulturelles Phänomen zu begreifen, in der sich der Zeitgeist, technischer Fortschritt, soziale Umbrüche und gesellschaftliche Trends spiegelten (…)“ (S. 11). Er widmet sich dabei vorrangig dem Zeitraum von 1967-73, jener „Schwellen-Situation“, die dem Autor im Rückblick „als magische Zeit erscheint“ (S. 19).
Mit dieser Einschätzung ist Wagner nicht allein, die Begeisterung für jene äußerst fruchtbare und hierzulande anfangs sträflich verkannte Musik, hat mittlerweile zu etlichen teils umfangreichen Publikationen geführt. Henning Dedekind hatte bereits 2008 über Krautrock – Underground, LSD und kosmische Kuriere berichtet, Gerhard Augustin schrieb in 2005 als selbsternannter „Pate des Krautrock“ zum Thema, im gleichen Jahr erzählte Pascal Bussy die Geschichte der Band KRAFTWERK und Florian Kreier schwadronierte in 2010 leider ziemlich fehlerhaft in einem Heftchen mit dem Titel Maschinengesang über die „Experimentelle Entwicklung des Krautrock“. Weitere Bücher dazu werden folgen …
Dedekinds Buch basierte hauptsächlich auf Gesprächen mit Zeitzeugen, dies ist auch bei Wagners Buch der Fall, er schöpft vorwiegend aus Interviews, die er seit ca. 1993 geführt hat. Kenntnisreich und sprachlich flott und gelungen verknüpft der Autor die aus den Interviews abgeleiteten Informationsstränge, in denen auch Leser/innen, die bereits mit dem Thema (und den oben genannten Büchern) vertraut sind, noch Neues entdecken.
Der Klang der Revolte sollte nicht mit Detlef Siegfrieds 2008 erschienenem Sound der Revolte verwechselt werden, einem Buch, das sich zwar ebenfalls der Jugend- und Gegenkultur widmet, dies aber hauptsächlich unter dem Vorzeichen von „1968“ (siehe dazu auch Beate Kutschkes Buch Musikkulturen in der Revolte). Wagner berührt die 68er-Umwälzungen nur, um das „kulturelle Phänomen“ der Underground-Musik logisch kontextuell zu verorten. Die Qualitäten seines lesenswerten Buches bestehen u.a. in der überwiegend gelungenen Strukturierung, anhand von 25 Kapiteln erzählt er die wechselvolle Geschichte der magischen Zeit und Klänge, beginnend mit den Anfängen einer Musik, die sich von anglo-amerikanischen Vorbildern, von deutschnationalem Vorkriegs-Ballast und von nachfolgendem Schlagerkitsch lösen wollte. Wagner schreibt u.a. über „Die Anfänge der elektronischen Musik in Berlin“, „Die westdeutsche Elektronik-Szene“, „Die Entdeckung des Studios“ (gute Idee!), über die Liedermacher- und Straßenmusikerszene, über den Trip in die Provinz und die Reise in die Weltmusik, sehr umfassend über Festivals, Open-Airs, sowie über Musikerkollektive und Kommunen.
Lediglich die abschließenden Kapitel mit Portraits von Paul und Limpe Fuchs, Xhol Caravan und CAN wirken etwas angehängt und bremsen den Fluss des Textes leicht, was dann nachfolgend mit den Reflexionen zum „Echoraum der Geschichte“ (schöner Titel!) und zur „Aktualität der magischen Jahre“, deren Bands, Klänge und Vinylprodukte auch im Ausland längst absoluten Kultstatus haben, positiv abgemildert wird.
Das Buch ist gut recherchiert, kleinere Ungenauigkeiten sind wohl eher auf Nachlässigkeiten der Interviewpartner zurückzuführen z.B. war das Berliner Zodiac (damals meist „Zodiak“ geschrieben) nicht nur ein einräumiger „schwarzer Kubus“ (S. 81), sondern es war, wie Dokumentarfotos und Dietmar Buchmanns Film von 1969 zeigen, insgesamt ein großer weißer, ein kleiner dunkler und ein großer schwarzer Raum. Aber dies ist im Gesamtzusammenhang der fast 400 Seiten nur ein Detail …
„Manche der Bands haben damals weit in die Zukunft geschaut“ schreibt Wagner auf Seite 36. Er selbst schaut mit seiner Publikation fachkundig und intelligent zurück und legt damit ein Buch vor, das spannend lesbar, üppig bebildert und für die Freunde des Genres schlicht unverzichtbar ist.

Manfred Miersch
Berlin, 02.08.2013

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