Verdi-Handbuch / Hrsg. von Anselm Gerhard und Uwe Schweikert [Claudia Niebel]

Verdi-Handbuch / Hrsg. von Anselm Gerhard und Uwe Schweikert. – 2., überarb. und erw. Aufl. – Kassel / Stuttgart: Bäreneiter / Metzler, 2013. – XLII, 757 S.: Ill.
ISBN 978-3-476-02377-3 (Bärenreiter) u. 978-3-7618-2057-5 (Metzler): 69,95 € (geb.)

War für die erste Auflage der 100. Todestag Verdis der Anlass zum Erscheinen des Bandes, nutzten die Herausgeber bei der zweiten den 200. Geburtstag des Komponisten, um das Werk grundlegend zu überarbeiten und zu erweitern. Die Qualität der ersten Auflage war bereits beim Erscheinen unbestritten – die Komponisten-Handbücher der Bärenreiter-Metzler-Verlagskooperation füllen eine veritable Lücke in der Bio-Bibliographik, es stellt sich daher also eher die Frage nach den Abweichungen von der ersten Auflage.
Die Autoren rund um das Herausgeberduo sind nicht mehr alle dieselben, teilweise wurde hier ein Generationenwechsel vollzogen, und sicher stehen auch die Ergebnisse neuer und neuester Verdi-Forschung in direktem Zusammenhang mit dem Austausch oder dem Einschub so manchen Kapitels. Die Co-Herausgeberin Christine Fischer, die in der ersten Auflage auch für manchen Artikel verantwortlich zeichnete, ist gänzlich verschwunden und im einen oder anderen Fall hätte es eines erklärenden Satzes bedurft, um die Gründe nachvollziehbar zu machen. So bleibt die Rezensentin auf sich angewiesen, um Schlüsse zu ziehen, denn auch das – im Vergleich zum Vorgänger fast identische – Vorwort lässt sich hierzu nicht aus. Auf den ersten Blick scheint mit elf Seiten mehr als bei der ersten Auflage nicht allzu viel neues hinzugekommen zu sein, allerdings ist die Schrift erstens kleiner und die Type eine andere und zweitens wurden einzelne Kapitel durch neue oder gänzlich andere ersetzt. Die Zeittafel der ersten Auflage (Christine Fischer) ist vom Ende in den erweiterten Vorspann gewandert, wurde ganz neu gefasst (Vincenzo Ottomano/Anselm Gerhard). Sie ist insgesamt sehr viel übersichtlicher und informativer, weil tabellarisch gehalten und um die zeit- und kulturgeschichtliche Ebene erweitert. Im Inhaltsverzeichnis fällt generell auf, dass Kapitelüberschriften, die sich in der ersten Auflage nur im Fließtext befinden, separat ausgeworfen werden. Das beansprucht zwar mehr Platz, erleichtert aber den Einstieg in die z. T. recht umfangreichen Aufsätze enorm. Die Einleitungen sind weitgehend identisch.
Der Aufbau des Hauptteils in vier Kapitel („Verdis Wirken“, „Verdis Werk zwischen Konvention und Innovation“, „Das Werk“, „Wirkung“) wurde beibehalten, allerdings zeigt sich, dass insgesamt einzelne Kapitel entweder ganz entfielen, durch neue ersetzt oder sprachlich-terminologisch bzw. inhaltlich überarbeitet wurden. Im Kapitel „Verdis Wirken im italienischen 19. Jahrhundert“ wurde der Essay von Volker Kapp zur italienischen Nationalliteratur durch eine Studie des Sprachhistorikers Vittorio Coletti zur sprachlichen Bedeutung von Verdis Opern ersetzt. Im weitaus umfangreicheren zweiten Kapitel sind die Veränderungen auffälliger. Einzelne Texte wurden in der Reihenfolge verändert, zwei fehlen ganz: „Von gefallenen Engeln und Amazonen“, ein gender-orientierter Essay von Christine Fischer zum Geschlecht als soziale Kategorie in Verdis Werk, der ein durchaus erhellendes Licht auf die Wechselwirkung zwischen kulturellem Umfeld und Verdis Kunst wirft, wurde kommentarlos gestrichen. Ebenso verhält es sich bei „Melodiebildung und Orchestration“ (Karl-Leo Gerhartz), wobei hier sicher auch Aktualitäts- und Altersgründe eine Rolle gespielt haben dürften. Der Aufsatz von Christine Fischer wich einem etwas geschlechtsneutraler gehaltenen von Uwe Schweikert zu Rollencharakteren, Ästhetik und Stimmtypologie. Gerhartz‘ Essay wurde durch drei aktuelle Untersuchungen des Herausgebers Gerhard ersetzt, die sich dezidiert mit den Aspekten Melodiebildung, Tonarten oder Rhythmen beschäftigen. Ganz neu in diesem Verbund ist die Studie der Tanzwissenschaftlerin Stephanie Schroedter zur Bedeutung von Tanz und Ballett in Verdis Opernschaffen, die ein neues Licht auf dessen dramaturgisches Verständnis wirft. Im Werkteil wurde der Text zu „Stiffelio“ und „Aroldo“ nach neuesten Erkenntnissen folgerichtig zu eigenständigen Opernartikeln „entzerrt“, nachdem sie in der ersten Auflage noch als ein- und dasselbe Werk in verschiedenen Fassungen geführt wurden.
Neu hinkamen Auflistungen zu nachkomponierten Arien zu bereits bestehenden Opern sowie ein kurzer Abriss zu nicht realisierten Opernplänen. Im wirkungsgeschichtlichen Schlussteil wurde der Aufsatz des Historikers Kurt Malisch zu Sängerinnen und Sängern durch einen des Musikwissenschaftlers Thomas Seedorf ersetzt. Ein neu hinzugekommenes Kapitel über Dirigenten ergänzt die Sicht auf die Verdi-Interpretation. Ebenso verhält es sich mit dem Kapitel zum zeitgenössischen Regietheater, das von zwei Autoren ganz neu verfasst wurde. Ebenfalls neu ist auch der Aufsatz zur Verdi-Renaissance und deren politischer Vereinnahmung nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Der Anhang ist inhaltlich (bis auf die eingangs erwähnte Zeittafel) unverändert, allerdings sind auch hier teilweise neue Autoren vertreten.
Insgesamt ergibt sich für den Handbuch-Nutzer das Bild eines in sich geschlossenen, konzeptionell ausgewogenen und dem neuesten Stand der Forschung angepassten Nachschlagewerkes, dessen einzelne Texte außerhalb des bibliographischen Teil so gehaltvoll und informativ sind, dass sie auch unabhängig voneinander mit Gewinn gelesen werden können.

Claudia Niebel
Stuttgart 29.07.2013

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