Alfred Pringsheim, der kritische Wagnerianer [Peter Sommeregger]

Alfred Pringsheim, der kritische Wagnerianer. Eine Dokumentation / Hrsg. von Egon Voss – Würzburg: Königshausen & Neumann, 2013. – 242 S.: Abb. (Thomas-Mann-Schriftenreihe ; 9)
ISBN 978-3-8260-5140-1 : € 28,00

Alfred Pringsheim (1850-1941) ist heute einer breiten Öffentlichkeit nur noch als Schwiegervater Thomas Manns bekannt. Dabei handelt es sich bei dem 1850 im schlesischen Ohlau geborenen Sohn eines reichen Fabrikanten selbst um einen großen Geist. Als studierter, später habilitierter Mathematiker macht er sich schnell einen Namen, publiziert umfangreich, und genießt höchstes Ansehen. Seine zweite Liebe gehört der Musik. Früh begeistert er sich für die Opern Richard Wagners, er erwirbt 1871 drei Patronatsscheine für die Finanzierung des Bayreuther Festspielhauses. 1872 nimmt er an der Grundsteinlegung für das Gebäude teil. Wiederholt begegnet er seinem Idol Wagner, für das er sich auch publizistisch stark macht. Über seine Teilnahme an den Endproben und schließlich der Uraufführung des Ring des Nibelungen 1876 führt Pringsheim ein Tagebuch, von dem allerdings nur noch ein Fragment in Abschrift vorhanden ist. Nach 1876 beginnt er, einzelne Szenen aus Wagner-Opern für zwei und mehrere Klaviere, sowie Kammermusik-Besetzungen zu bearbeiten. Als Pringsheim mit seiner jungen Familie 1890 in München das Haus Arcisstraße 12 bezieht, bald schon bekannt als Palais Pringsheim, entfaltet sich dort schnell ein reiches gesellschaftliches und musikalisches Leben. Auch die Söhne Heinz und Klaus verschreiben sich der Musik. Bis zum Jahr 1933 wird Pringsheim mit Ehrungen und Titeln geradezu überhäuft. Danach wird er wegen seiner jüdischen Abstammung mehr und mehr ausgegrenzt, muss sein Haus in der Arcisstraße aufgeben, verliert seine bedeutende Majolika-Sammlung. Der beinahe 90-jährige wird noch zusätzlich durch den Ausschluss aus der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gedemütigt. Im Oktober 1939 schließlich gelingt ihm und seiner Frau die Emigration in die Schweiz, nicht ganz zwei Jahre später stirbt Pringsheim in Zürich.
Im Rahmen der Thomas-Mann-Schriftenreihe liegen nun erstmals alle erhaltenen Wortbeiträge Pringsheims über Wagner vor, bereichert und ergänzt durch eine umfangreiche biografische Studie von Egon Voss sowie eine Rekonstruktion des kämpferischen Einsatzes Pringsheims für die Bayreuther Sache 1876. Große Teile des schriftlichen Nachlasses Pringsheims wurden aus nicht nachvollziehbaren Gründen von seiner Witwe Hedwig vernichtet, was die vergleichsweise kleine Menge des Erhaltenen erklärt. Pringsheims Texte zeichnen sich durch genaueste Kenntnis des Wagnerschen Werkes aus, dazu kommt eine brillante Beherrschung der Sprache. Die feine Ironie des Artikels Richard Wagner und sein neuester Freund, die atmosphärisch dichte Schilderung der Stimmung in Bayreuth während der Ring-Proben lassen es den Leser als besonders bedauerlich empfinden, dass so viele Texte verloren sind. Voss hat hier als Herausgeber großartige Arbeit geleistet, kein Detail, das nicht akribisch hinterfragt und kommentiert wird. Bei der geringen Menge vorhandenen Materials drohen Pringsheims Texte allerdings manchmal vom Apparat ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung schier erdrückt zu werden. In Anbetracht der bedeutenden Persönlichkeit Alfred Pringsheims wünscht man sich eine ausführlichere Biografie dieses Mannes und seines persönlichen Umfeldes!

Peter Sommeregger
Berlin, 22.07.2013

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